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Sahra Wagenknecht: "Keine haltlosen Versprechungen"

Links und konservativ zugleich: Wie Sahra Wagenknecht sich anschickt, im Mai auf Mallorca bei unserem 7. Wirtschaftsforum "NEU DENKEN" deutsche Unternehmer für sich einzunehmen.

28. März 2024
Sahra Wagenknecht im Portrait

Sahra Wagenknecht (Jena, 1969) ist seit nun­ mehr 33 Jahren in der deutschen Parteienland­schaft tätig – und gilt dennoch derzeit mit ihrer Neugründung „Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) als eine Art Shootingstar der deutschen Politik. Die Mallorca Zeitung erreicht sie telefo­nisch im saarländischen Menzig, wo sie mit ih­rem Mann, dem ehemaligen SPD-Parteichef, Bundesfinanzminister und Linkspolitiker Os­kar Lafontaine lebt. Wagenknecht kommt zu einer neuen Ausgabe des von der PlattesGroup veranstalteten Wirtschaftsforums NEU DENKEN nach Palma (23.5.-25.5.) und freut sich schon jetzt auf den Inselbesuch.

Es ist nicht ihr erster: „Ich bin leidenschaftliche Radfahrerin", sagt sie. ,"Dafür gibt es in Mallorca beste Bedingun­gen. Deshalb komme ich immer gern wieder und genieße die Sonne, das Meer und die gute mallorquinische Küche."

"NEU DENKEN" - was heißt das für Sie?
Immer wieder zu hinterfragen, ob der Weg, auf dem man sich befindet, der richtige ist. Das gilt aktuell für die Friedensfrage – Konflikte da­ durch zu lösen, dass man immer mehr Waffen liefert, funktioniert offensichtlich nicht –, aber auch etwa für die Energiepolitik.

Auf den Krieg kommen wir noch. Auf Mallorca treffen Sie auf einen beachtlichen Teil der deut­schen Wirtschaftselite. Was reizt Sie daran?
Ich nehme solche Einladungen gern an, weil ich dadurch andere Perspektiven kennenlerne. Eine starke Wirtschaft braucht gute und cou­ragierte Unternehmer: Wenn sie echte Proble­me haben, betrifft das das gesamte Land. Das heißt nicht, dass man sich ihre Sicht immer zu eigen machen muss. Insbesondere große börsennotierte Unternehmen sind heutzutage schon unzufrieden, wenn die Rendite nicht zweistellig ist. Sie wollen immer weniger Steu­ern zahlen oder geringere Löhne. Bei kleinen und mittleren dagegen geht es oft um die Exis­tenz, wenn die Energiekosten aus dem Ruder laufen, sie von bürokratischen Vorschriften erschlagen werden oder Fachkräfte fehlen.

Man sitzt zusammen, kennt sich und will sich nicht auf die Füße treten", sagten Sie einmal über die Beziehung zwischen Spitzenpolitikern und Wirtschaftsbossen. Wie wollen Sie verhin­dern, dass es Ihnen auch so ergeht?
Ich habe kein Problem damit, starken Lobbys auf die Füße zu treten, wenn ich ihre Anliegen unberechtigt finde. Ich spreche mit allen Sei­ten, auch mit vielen Menschen, die abhängig beschäftigt sind, die mit ihren Löhnen nicht über die Runde kommen und sich Sorgen ma­chen, wovon sie im Alter leben, weil die Renten in Deutschland besonders niedrig sind. Viele Politiker im Bundestag haben mit normalen Menschen kaum noch Kontakt und bewegen sich nur noch in ihrer Blase. Sie treffen Lobby­isten, sie leben in einem Umfeld, wo es den meisten finanziell gut geht. Man sieht an ihrer Politik, dass sie oft überhaupt nicht wissen, was die Menschen bewegt, was ihre Probleme sind.

Die Veranstalter des Wirtschaftsforums sind Steuerkanzleien, die sich – ebenso wie viele ih­rer Mandanten – gerade über die Senkung der Vermögen-und Erbschaftsteuer auf den Balea­ren gefreut haben. Wie wollen Sie sie von der Vermögensteuer überzeugen?
Mir geht es darum, dass eine solche Steuer – auch die Erbschaftsteuer –, nicht die Mittel­schicht trifft, die sich irgendwann mal auf Mallorca ein Häuschen gekauft haben, das heu­te einen vielfachen Wert hat, und die jetzt dort ihren Ruhestand verbringen, aber nicht reich sind. Vermögen im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich könnten tatsächlich stärker besteuert werden. Das Argument, dass das we­gen der Doppelbesteuerung nicht legitim wäre, ist nicht überzeugend. Zum einen stammen solche Vermögen in der Regel aus Kapitalein­kommen, die steuerlich viel weniger belastet werden als Arbeitseinkommen, und zum ande­ren haben wir eine solche Doppelbesteuerung faktisch überall. Wer im Supermarkt Brötchen kauft, bezahlt sie aus seinem versteuerten Ein­kommen, und muss trotzdem noch mal Mehr­wertsteuer zahlen. Unser Steuersystem belastet in erster Linie die Mittelschicht, das ist sein Feh­ler. Die Frage lautet deswegen: Wie erreichen wir, dass kleine und mittlere Einkommen ent­lastet werden? Dafür muss man sich Gedanken über die Gegenfinanzierung machen, und ich finde, dass sehr reiche Menschen durchaus einen größeren Beitrag leisten könnten.

Sie werden also moralisch argumentieren.
Nun, ein anderer Punkt ist die Motivation, Steuern zu zahlen. Ich verstehe, dass Menschen besonders ungern Steuern zahlen, wenn der Staat verantwortungslos mit ihrem Geld um­ geht. Denken Sie an die Corona-Zeit mit den ganzen Lockdowns und die immensen Mittel, die dafür aufgebracht werden mussten, um die Fehler der Politik dann wieder ein bisschen zu kompensieren. Oder die völlig verfehlte Ener­giepolitik: Wir sind das Land in Europa, das mit Abstand am meisten Geld für die Subventionie­rung von Energieunternehmen und Energie­preisen ausgegeben hat, und trotzdem haben wir die höchsten Energiepreise in Europa. Und wir sind nach den USA mit Abstand der größte Waffenlieferant an die Ukraine. Wir haben 30-mal mehr Geld dafür ausgegeben als bei­spielsweise Frankreich. Mittlerweile glauben selbst die Amerikaner nicht mehr, dass dieser Krieg mit militärischen Mitteln beendet wer­den kann und ziehen sich aus der Finanzierung zurück. Wir dagegen stocken auf.

Die BSW gilt Politikwissenschaftlern als links­ konservativ. Was sehen Sie für Schnittstellen, etwa zu den Mittelständlern der CDU?
Die CDU redet in Sonntagsreden vom Mit­telstand, aber sie tut nichts dafür, dass die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen nicht immer schlechter werden. Wir haben zwar zum Glück in Deutschland noch einen relativ starken Mittelstand, aber der gerät immer mehr unter Druck. Große Unter­nehmen haben immer mehr Marktmacht, die Kartellbehörden agieren zahnlos. Ich bin ge­prägt von der Ordoliberalen Schule in der Öko­nomie. Eine der entscheidenden Aussagen von Walter Eucken war: Der Missbrauch von Markt­ macht lässt sich nicht kontrollieren, deshalb muss man verhindern, dass einzelne Unterneh­men zu groß werden. Wir haben seit Jahren ei­nen wachsenden Einfluss großer Finanz- und Digitalkonzerne, teilweise auch der Berater­branche, und das geht zulasten der soliden Mittelständler, egal ob im Industriebereich oder im Einzelhandel. Das ist gefährlich.

Auf Mallorca stellen wir gerade einen starken Zuzug wohlhabender Unternehmer und Frei­berufler fest. Entzieht sich da eine Elite ihrer Verantwortung?
Den Trend haben wir nicht nur in Richtung Mallorca. Schauen Sie sich große DAX- oder Industrieunternehmen an, die sich vom Stand­ort Deutschland unabhängiger machen. Energiepreise, Bildungsnotstand, Fachkräfte­mangel – statt seinen Einfluss geltend zu ma­chen, um etwas zu verbessern, ergreift man die Flucht. Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell in ihrer tiefsten Krise seit Jahrzehn­ten, trotzdem werden in diesem Frühjahr im DAX mehr Dividenden ausgeschüttet als je zuvor. lnhabergeführte Unternehmen haben häufig ein Verantwortungsgefühl für die Beschäftigten, für den Standort. Das fehlt in börsennotierten Unternehmen. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird Deutschland in wenigen Jahren kein relevan­ter Industriestandort mehr sein.

Thema irreguläre Migration. Mallorca liegt auf einer Migrationsroute aus Algerien. Sie treten für eine härtere Gangart ein. Was würde sie für die Mittelmeergrenze der EU bedeuten?
Das europäische Asylsystem funktioniert nicht. Wer einmal europäischen Boden betritt, kann fast immer bleiben, egal, ob er Anspruch auf Schutz hat oder nicht. Wer dagegen die teuren Schlepper nicht zahlen kann oder zu schwach für die gefährliche Route ist, den lassen wir im Stich. Asylverfahren nur noch an den Außen­ grenzen oder in Drittstaaten durchzuführen, wäre ein Ausweg. Etwa die Hälfte derer, die in Deutschland ankommen, bekommen keinen regulären Status, aber auch nach der Ableh­nung unverändert Sozialleistungen. Das ist ein großer Anreiz, den man abschaffen muss. Na­türlich sollte man zugleich versuchen, in den Heimatländern Perspektiven zu schaffen.

Sie setzen den Akzent auf die Schwierigkeiten bei der Integration. Drehen wir es einmal um: Was sind die Vorteile von Zuwanderung?
Natürlich ist es ein Vorteil, sofern ausgebildete Fachkräfte kommen. Aber wieso müssen wir dafür ärmere Länder in die Pflicht nehmen? Die brauchen doch ihre Ärzte oder Kranken­pfleger selbst. Warum bilden wir nicht selbst die Menschen aus und bezahlen sie auch ordentlich?

Wirtschaftsexperwarnen davor, dass die Art und Weise, wie über irreguläre Migration dis­kutiert wird, die Fremdenfeindlichkeitbefeuert und damit den Standort Deutschland schädigt. Was sagen Sie dazu?
Es ist doch nicht die Diskussion, sondern die zu hohe Zahl und die vielfach scheiternde Inte­gration, die am Ende rechtsextreme Parteien stark macht und zu fremdenfeindlichen Stim­mungen führt. Die Leute, vor allem die Ärme­ren, in deren Wohngebieten sich das abspielt, erleben die Probleme: überforderte Schulen, fehlende Sozialwohnungen, Ausbreitung des radikalen lslamismus. Sie haben das Gefühl, dass die Politik gar nicht mitbekommt, wie es ihnen geht, und das sucht sich dann ein Ventil.

Wo ziehen Sie rote Linien, was die Zusammen­arbeit mit anderen Parteien betrifft?
Bei allem, was sich im Bereich Extremismus be­wegt. Mit Rechtsextremen werden wir nicht zu­sammenarbeiten, natürlich auch nicht mit Linksextremen, aber die gibt es in den Parla­menten aktuell nicht. Da gibt es keine gemein­same Grundlage.

Auch nicht mit Teilen der AfD?
Das Problem der AfD ist ja, dass sie zunächst von Leuten gegründet wurde, die keine Rechts­extremen waren, über die Jahre der rechtsex­treme Flügel aber immer stärker geworden ist. Deren Protagonisten vertreten völkische Thesen, Nationalität ist für sie eine Frage des Bluts und nicht der gemeinsamen Kultur. In­tegration ist danach gar nicht möglich. Nach dieser Logik ist die Mehrheit der deutschen Be­völkerung nicht deutsch, weil Sie bei den meis­ten irgendwo einen Urahnen finden, der kein Deutscher war. Mit Leuten, die solche Thesen vertreten und den Nationalsozialismus ver­ harmlosen, kann man nicht kooperieren.

Es geht nicht darum, Russland einen Gefal­len zu tun, sondern uns. Was ist das Ergebnis der Sanktio­nen? Die russische Wirtschaft boomt, die US­-Wirtschaft boomt – die deutsche Wirtschaft dagegen schrumpft.

Bei der Frage, ob man mit Sahra Wagenknecht kooperieren kann, ziehen alle anderen Parteien, mit Ausnahme derAfD, eine rote Linie bei Ihrer Haltung zu Russland und der Forderung, von dort wieder Energie zu beziehen. Wie sollen da Bündnisse möglich sein?
Das fordert auch der sächsische Ministerpräsi­dent als CDU-Mitglied. Es geht nicht darum, Russland einen Gefallen zu tun, sondern uns. Was ist das Ergebnis der Sanktionen? Die russi­sche Wirtschaft boomt, die US-Wirtschaft boomt - die deutsche Wirtschaft dagegen schrumpft, wichtige Industrien wandern ab ... Finde den Fehler (lacht) – da machen wir wohl etwas falsch.

Aber wie soll es hier ein Zurück geben?
Jedes Land, vor allem, wenn es ein rohstoff­armes Land ist, sollte aus Eigeninteresse schau­en, Rohstoffe und Energie dort zu kaufen, wo sie preisgünstig sind und sich dabei nicht von einem Anbieter völlig abhängig machen. Wenn ich lese, dass Österreich noch im vergangenen Jahr 98 Prozent seines Gases aus Russland bezog, okay, das sollte man vielleicht wirklich nicht machen. In Deutschland waren es früher maximal 55 Prozent.

Stellen wir uns vor, Sie wären Außenministe­rin und müssten Präsident Selenskyj erklären, dass Deutschland keine Waffen mehr liefert. Wie sagen Sie ihm das?
Ich würde beiden Parteien ein Angebot ma­chen, also Russland anbieten, dass es keine Waffenlieferungen mehr gibt, wenn sie einem sofortigen Waffenstillstand zustimmen, und der Ukraine sagen, dass es von uns keine weite­re Unterstützung gibt – wir zahlen ja aktuell den halben ukrainischen Staatshaushalt –, wenn sich Selenskyj weiter Verhandlungen verweigert. Ich würde versuchen, China mit einzubinden und auch die Länder des Südens, die sich ebenfalls für Verhandlungen einsetzen. Deutschland sollte sich endlich dieser Allianz anschließen. Mit immer mehr Waffen kann dieser Krieg nicht beendet werden.

Das würde bedeuten, dass die Ukraine von Russland eroberte Gebiete abtreten müsste.
Darüber muss verhandelt werden. Ich gehe nicht davon aus, dass Russland sich von der Krim zurückziehen wird, und ich glaube auch nicht, dass die Menschen dort das mehrheit lich wollen. Im Donbass muss erst einmal Frieden einkehren, damit die Menschen dann vielleicht in einem UN-beaufsichtigten Refe­rendum entscheiden können, zu welchem Land sie gehören wollen.

Kurz nach Ihrem Mallorca-Besuch stehen Europawahlen an. Was streben Sie für ein Er­gebnis an?
Ein möglichst starkes. Der politische Neube­ginn in Deutschland beginnt mit einem star­ken BSW-Ergebnis bei der Europawahl. Unser Ergebnis hat unmittelbaren Einfluss darauf, was wir in den folgenden Monaten in Deutschland bewegen können.

Zehn Prozent?
Ich will keine Zahlen nennen. Wir sind eine erst im Januar gegründete Partei. Dass wir in den meisten Umfragen oberhalb von fünf Prozent liegen, ist schon großartig.

Ihnen wird oft Populismus vorgeworfen. Wie definieren Sie selbst eigentlich Populismus?
Es sind oft die unpopulären Politiker, die je­manden, der mehr Rückhalt hat, Populismus vorwerfen. Natürlich ist das ein negativer Begriff, wenn man ihn so versteht, dass den Leuten irgendwelche Märchen erzählt werden, unseriöse Vorschläge, die nicht umsetzbar sind. In diesem Sinne sind wir natürlich keine Popu­listen. Wir haben seriöse Konzepte, Alternati­ven, die machbar sind. Das ist mein Anspruch. Ich mache den Leuten keine haltlosen Verspre­chungen, und ich ändere auch nicht mit jeder Umfrage meine Meinung. Wir wollen durch­ setzen, was sich sehr viele Menschen wünschen: eine vernünftige Wirtschafts- und Energie­politik, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Meinungsfreiheit.

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