Zum Hauptinhalt springen

Funktionsverlagerung | Grenzübschreitende Geschäfte | Deutschland

Die Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG findet auch Anwendung für Funktionsverlagerungen als Ausprägung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen. Das BMF hat sich mit Schreiben v. 13.10.2010 (IV B 5 - S 1341/08/1003, vgl. dazu Blum/Lange, GmbHR 2011, 65) insbesondere zu den Fragen der Einkünfteabgrenzung und der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes geäußert und damit die Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (FVerlV) präzisiert.

Die Zielsetzung der Funktionsverlagerung ist es, das Steueraufkommen und die geschaffenen Werte in Deutschland zu sichern, indem bestimmte grenzüberschreitende Vorgänge mit nahe stehenden Personen so angesehen werden, als ob sie zwischen fremden Dritten im Inland stattgefunden hätten.

Die verschiedenen Arten der Funktionsverlagerung

Eine Funktionsverlagerung liegt vor, wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einer anderen nahestehende Person (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile, sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird (vgl. BMF v. 13.10.2010, Tz. 19).

Entscheidend ist, dass eine Funktion zusammen mit allen Chancen und Risiken und dem mit dem Wirtschaftsgut verbundenen Vorteil übertragen wird. Die Nutzung, die bisher wenn auch nur teilweise beim übertragenden Unternehmen lag, geht an das übernehmende Unternehmen über. Sie ist nicht gleichzusetzen mit einer Sitzverlagerung, Entstrickung oder Umwandlung.

Es gibt sechs verschiedene Arten der Funktionsverlagerung, wobei manche nicht unter die Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG fallen:

  1. Funktionsausgliederung,
  2. Funktionsabschmelzung,
  3. Funktionsabspaltung,
  4. Funktionsausweitung,
  5. Funktionsverdoppelung/-vervielfachung und
  6. Mitarbeiterentsendung.

Eine Funktion muss

  • den Tatbestand einer Geschäftsbeziehung erfüllen;
  • eine Geschäftstätigkeit darstellen, die aus einer Zusammenfassung von betrieblichen Aufgaben besteht;
  • einen organischen Teil des Unternehmens ausmachen;
  • eine gewisse betriebswirtschaftliche Eigenständigkeit haben;
  • kein steuerlicher Teilbetrieb sein (Beispiele: Einkauf, Beschaffung, Forschung und Entwicklung, Vertrieb, Kundendienst, Marketing, Werbung, Logistik, Finanzierung, Geschäftsleitung etc.).

Bewertung als Transferpaket: Die Funktion ist als Ganzes zu bewerten, indem ein Transferpaket abgegrenzt und bewertet wird. Unter das Transferpaket fallen alle Chancen und Risiken, immaterielle Wirtschaftsgüter, Vorteile und das Konglomerat aus verschiedenen Liefer- und Leistungsbeziehungen (BMF v. 13.10.2010, Tz. 28). Dabei ist die Bewertung wie folgt vorzunehmen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1, 2 AStG und BMF-Schreiben v. 13.10.2010, Tz. 62 und 82 ff.):

  • Tatsächlicher Fremdvergleich mit uneingeschränkt vergleichbaren Werten. Falls nicht möglich:
  • Tatsächlicher Fremdvergleich mit eingeschränkt vergleichbaren Werten. Falls nicht möglich:
  • Hypothetischer Fremdvergleich (Mittelwert, Einigungsbereich).

Der steuerlich relevanten Wertermittlung ist gem. § 5 FVerlV ein funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssatz zugrunde zu legen (vgl. BMF v. 13.10.2010, Tz. 104 ff.). Hierdurch sollen die im Rahmen einer Funktionsverlagerung ins Ausland abwandernden, selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter wie z.B. globale Geschäftschancen und allgemeine Gewinnchancen für die Besteue [S. A0123] rung greifbar gemacht werden. Auch bei Funktionsverlagerungen kann bei Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG innerhalb von zehn Jahren nach dem Geschäftsabschluss eine Anpassung des Verrechnungspreises vorgenommen werden. In der Literatur mehren sich Stimmen, nach denen die Rechtsprechung des EuGH zur steuerlichen Entstrickung (insbesondere EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10, GmbHR 2012, 56 – National Grid Indus) auch Rückwirkungen auf die Regelungen zur Funktionsverlagerung hätten, denn die Realisierung stiller Reserven aufgrund einer Funktionsverlagerung ins EU-Ausland könne keine schärferen Folgen haben als die Sitzverlegung der funktionsinnehabenden Gesellschaft (Rohler, GmbH-StB 2012, 54).

Escape-Klausel: Gem. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG ist eine Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter möglich, soweit keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter mit übergegangen sind und wenn gilt Einzelbewertung = Gesamtergebnis (vgl. BMF v. 13.10.2010, Tz. 69 ff.).

Bei der Funktionsverlagerung gelten allgemeine und spezielle Dokumentations- und Mitwirkungspflichten. Die Frist zur Vorlage beträgt 30 Tage, dabei sind insbesondere offenzulegen: Veränderung der vom Unternehmen aus [S. A0124] geführten Funktionen, übernommene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter; Planrechnung zur Gewinnentwicklung für das aufgegebene und aufnehmende Unternehmen, abgeschlossene Verträge etc. Bei Nichteinhaltung dieser Pflichten folgen Sanktionen.

Praxishinweis: Die Funktionsverlagerung stellt einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall dar.

Bilanzsteuerrechtliche Folgen: Das bewertete Transferpaket scheidet beim übertragenden Unternehmen aus und beim übernehmenden Unternehmen wird dieser Wert aktiviert. Die Bilanzierung richtet sich nach dem Recht des Staates des übernehmenden Unternehmens. Die Funktionsverlagerung wirft die Frage auf, inwieweit das ausländische Unternehmen, das die Funktion übernimmt, den „Kaufpreis“ hierfür bei seinem Fiskus steuerlich geltend machen kann. Ob das immer gelingen wird, ist fraglich. Gelingt dies jedoch nicht, droht in Höhe der vertraglich vergüteten Preise für die Funktionsverlagerung für den betroffenen Konzern letztendlich eine Doppelbesteuerung, die den Zielen der Doppelbesteuerungsabkommen zuwiderlaufen würde.
Es wäre dann nötig, ein Verständigungsverfahren (DBA) oder ein Schiedsverfahren (Schiedsabkommen) einzuleiten, um einer doppelten Besteuerung entgegenzuwirken. Dies dürfte sich in der Praxis als Hindernis für die Attraktivität von Funktionsverlagerungen ins Ausland auswirken. Dieser Effekt mag vom Gesetzgeber gewollt sein, verstieße aber jedenfalls innerhalb der EU und des EWR gegen die vom EG-Vertrag etablierte Rechtsordnung: Der Binnenmarkt besteht geradezu in der Idee, die Tätigkeiten eines Unternehmens frei und ungehemmt auf die einzelnen Staaten der EU verteilen zu können. Deutschland besteuert somit fiktive Gewinne und verletzt damit das Quellenstaatprinzip. Daher ist die Regelung (die es erst seit 2007 gibt) gegenwärtig europarechtlich noch umstritten. International ist auch das Transferpaket nicht anerkannt.

Fazit: Eine Mehrbelastung des Steuerpflichtigen aufgrund erhöhter Dokumentations- und Mitwirkungspflichten und komplexe und aufwendige Bewertungsmethoden sowie eine eventuelle Doppelbesteuerung des deutschen abgebenden Unternehmens machen eine Funktionsverlagerung für viele Unternehmen unattraktiv.

Unsere Kompetenzzentren

Beratungsanfrage

Vielen Dank für Ihr Interesse an unseren Dienstleistungen.
Ein Experte aus dem zuständigen Kompetenzzentrum wird Ihre Anfrage bearbeiten und sich bei Ihnen melden.