Niemand ist nicht verantwortlich
30. Mai 2024Es gibt einen Satz, der sich wie ein roter Faden durch die siebte Ausgabe des Wirtschaftsforums Neu Denken zog, durch die Vorträge, Präsentationen und Debatten der insgesamt mehr als 40 Referenten am vergangenen Wochenende. Da war natürlich das griffige Motto „Jammern ist keine unternehmerische Aktivität“, das Initiator Willi Plattes ausgegeben hatte und das reichlich Widerhall fand. Immer wieder fiel aber noch ein anderer prägnanter Satz, in dem sich zentrale Erkenntnisse des Wirtschaftsforums 2024 verdichten: Niemand ist nicht verantwortlich. Egal ob internationales Krisenszenario, Reformstau in Europa oder Bürokratiedschungel in Deutschland – es mag eine unübersichtliche Zahl von Problemen geben, diesen stehen aber auch viele Ideen und Lösungsansätze gegenüber. In einem solchen Setting gibt es keine Schuldigen, sondern Akteure, die weiterdenken, Auswege aufzeigen und anpacken wollen. Und wenn ein Referent doch mal auf die Idee kam, mit dem Finger auf andere zu zeigen oder zu lamentieren, lief er Gefahr, in einem Umfeld kenntnisreicher Ist-Analysen, Reformkonzepte und Entwicklungsprognosen sich selbst in ein schlechtes Licht zu stellen. Es waren zum einen Politiker wie Thomas de Maizière, früherer Verteidigungsminister und Ex-Chef des Bundeskanzleramts, der ehemalige slowenische Staatspräsident Borut Pahor oder der langjährige Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn (S. 22–23), die nach Abgabe ihrer politischen Verantwortung kein Blatt mehr vor den Mund nehmen müssen und die Lage mit ihrem reichen Erfahrungsschatz analysierten. Es waren hochrangige Wirtschaftsvertreter wie Philipp Justus, Vize-Google-Chef in Zentraleuropa, Alexander Birken, CEO der Otto Group, oder Lars Brzoska, CEO des Intralogistikspezialisten Jungheinrich AG, die Einblicke in Denkfabrik und Maschinenraum ihrer Konzerne gaben – was auch möglich war wegen der geltenden Chatham House Rules, laut denen kein Referent zitiert werden darf. Die komplexen Sachverhalte auf den Punkt brachten auch Wissenschaftler wie Carlo Masala, Leiter der Professur für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, Hans Uszkoreit, wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, oder der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld. Und nicht zu vergessen das Charisma eines Jürgen Klopp, der wenige Tage nach seinem emotionalen Abschied vom Trainer-Job beim FC Liverpool als Überraschungsgast beim Eröffnungsabend erschien (s. re.), oder die Offenheit eines Karl-Theodor zu Guttenberg, der genauso selbstkritisch wie selbstironisch sehr persönliche Innenperspektiven aus dem Alltag eines bejubelten und dann gejagten Bundesministers schilderte.
KRIEG UND KI
Viel Stoff also. Schwer zu verdauen war vor allem der Gegensatz zwischen Innovationen wie künstlicher Intelligenz oder Quantentechnologie einerseits, die sich schier exponentiell Bahn brechen und ganze Branchen umkrempeln, und andererseits den archaisch wirkenden Konflikten in der Weltkriegerischen Auseinandersetzungen, die es so ähnlich immer schon gegeben hat, die aber jetzt zu Polykrisen werden: Sie bestehen nicht mehr unabhängig voneinander, sondern sind miteinander verwoben und lassen sich nur im Zusammenhang verstehen und lösen.
IFZA AUS DUBAI LUD ZUM DINNER IN PORTALS
Am Freitagabend tauschten die Teil- nehmer das Castillo Hotel Son Vida mit dem Luxushafen Puerto Portals, wo
die International Free Zone Authority (IFZA) aus Dubai ins Restaurant Yara geladen hatte. Ahmed Alattar, Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in der Bundesrepublik, sprach dort seine Zuversicht aus, dass Deutschland gestärkt aus der jetzigen Krise hervorgehen werde. Zwei Wochen vor den Europawahlen war auf dem Forum mehrfach die Warnung zu hören, nicht diejenigen zu wählen, die Europa von innen heraus zerstören wollen. Nur durch Zusammenhalt könne die EU in der Geopolitik neben den großen Akteuren ein gewisses Gewicht behalten und den russischen Expansionsgelüsten halbwegs Grenzen setzen. Damit einher geht die Frage nach den künftigen Big Playern. Stimmt die häufig zitierte Vorstellung einer zunehmend multipolaren Welt? Oder muss man sich eher auf einen harten Konkurrenzkampf zwischen den USA und China einstellen, bei dem den übrigen Akteuren allenfalls Nebenrollen zufallen? Inwieweit sich Europa künftig noch auf die transatlantische Achse verlassen kann, bleibt fraglich. Unabhängig davon, wer nach den US-Wahlen Ende dieses Jahres ins Weiße Haus einziehen wird - so war es auf dem Forum von mehreren Referenten zu vernehmen –, muss sich der alte Kontinent wohl darüber im Klaren sein, Probleme vor der Haustür künftig stärker selbst in die Hand nehmen zu müssen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht, das wurde deutlich, spielt die Geopolitik eine immer größere Rolle. Kein Unternehmer wird sagen können, nicht von militärischen Konflikten, zerstörten Handelsrouten, schwankenden Rohstoffpreisen, der Klimakrise und der aus all diesen Faktoren verstärkten Migration betroffen zu sein.
DER STAAT HAT SICH VERHEDDERT
Dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, hat eine von mehreren Gewissheiten zerstört, in denen sich die Deutschen bislang wähnten, ähnlich wie das Ende der Wohlstandsmehrung und der Überflussgesellschaft sowie das zerstörte Vertrauen in den deutschen Staat, der sich in fast jeder Hinsicht verheddert hat. Was pauschal als bürokratischer Dschungel und Digitalisierungsdefizit kritisiert wird, hat seine Ursache in der sektoralen Organisation der politischen Verwaltung mit getrennten Behör- den und jeweils eigener Rechtsmaterie. Ohne eine grundlegende Verwaltungsreform, ohne eine eigene Bundesverwaltung, die in zentralen Fragen wie den Ausländerbehörden eine verpflichtende Linie vorgibt, verschlimmert jedes gut gemeinte Gesetz die Zustände weiter, so die Bestandsaufnahme. Auch die Wirtschaft selbst steht in der Pflicht, stammt doch ein großer Teil des Bürokratie-Wusts von deren Selbstverwaltung, von Berufsgenossenschaften und Gremien. Dass eine große Reform gelingen kann, dafür spricht die dramatische Lage, wie ein drastischer Vergleich verdeutlichte: Manchmal braucht es eben erst einen Herzinfarkt, um sich das Rauchen abzugewöhnen. So zäh das staatliche Handeln, so rasant die Entwicklung der Zukunftstechnologien, die schneller zu Gegenwartstechnologien werden, als es die meisten erwarten. Wer über krude Ergebnisse von ChatGPT schmunzelt, hat noch nicht die Anwendungen großer Konzerne gesehen, die die KI mit dem richtigen Input füttern und damit schon nach dem ersten Jahr der Anwendung den Absatz deutlich steigern, komplexer Steuerfachliteratur Herr werden oder individuelle und motivierende Ausbildungsprogramme für Mitarbeiter auflegen. Und auch die revolutionäre Quantentechnologie ist bereits im Einsatz, als sogenanntes hybrid quantum computing, etwa im Satellitenmarkt, bei dem die noch zu entwickelnde Hardware auf klassischen Hochleistungsrechnern simuliert wird. Es eröffnet sich ein international umkämpfter Billionen-Dollar-Markt, der sich nicht erst in ein oder zwei Dekaden, sondern schon in den kommenden Jahren exponentiell entwickeln dürfte. Und damit wird dann auch die KI das jetzige „Teenageralter“ hinter sich lassen und wirklich intelligent werden. Wer zu spät auf diese neuen Entwicklungen reagiert, verliert den Anschluss, Wirtschaftsmacht, nationale Sicherheit, Jobs. Wer sich da- gegen auf sie einlässt – Regierungen genauso wie Unternehmen und Angestellte – kann auf ein riesiges Potenzial hoffen. Die Referenten appellierten deswegen auch angesichts einer „zu satten“ Bevölkerung, traditionelle deutsche Tugenden wie Disziplin und Fleiß mit einer neuen Offenheit für Veränderungen zu kombinieren, mehr Eigenverantwortung zu zeigen, sich gegen Missstände einzusetzen, selbst et- was zu wagen und andere für ihr Engagement nicht mit Häme zu bestrafen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Denn egal ob Politiker, Wirt- schaftsboss oder einfacher Bürger – niemand ist nicht verantwortlich.
Er wäre ja selbst gerne „best buddy“ eines Top-Prominenten, pflegt Jürgen Klopp zu sagen. „Aber leider bin ich ja selbst der Promi.“ Einen Tag Jürgen Klopp zu sein, das muss toll sein – oder eben auch nicht. Manchmal sei es regelrecht „vergnügungsteuerpflichtig“, so einen Kultstatus zu haben, sagte der Fußballtrainer selbst, als er am vergangenen Donnerstag als Überraschungsgast auf der Terrasse des Castillo Hotel Son Vida erschien und die Gäste beim Eröffnungsabend des Wirtschaftsforums Neu Denken begrüßte. Man möge doch bitte davon Abstand halten, mit ihm ständig Selfies schießen zu wollen, bat Konferenzleiterin Sabine Christiansen die teilweise selbst prominenten Gäste. Am Ende kamen dennoch 30 oder 40 zusammen. Dem Fußballtrainer, der nach eigenen Aussagen jetzt erst einmal unter anderem auf Mallorca Energie tanken will, war vier Tage nach seiner großen Abschiedsfeier beim FC Liverpool der Adrenalinschub noch anzumerken. Drei Tage habe er sich ausgeruht, nun sei es aber auch mal wieder an der Zeit, etwas zu unternehmen und auszugehen, sagte er grinsend. Und hatte dann auch tatsächlich Spaß auf der Terrasse. „Ich freue mich sehr, ab und an auf Mallorca zu sein“, so der 56-jährige Stuttgarter gegenüber der Mallorca Zeitung. Er brauche so einen Inselaufenthalt, um ein bisschen runterzukommen. Jürgen Klopp besitzt gemeinsam mit seiner Frau seit Sommer 2022 ein Haus in Santa Ponça, das er dem Schweizer Künstler Rolf Knie abkaufte. Wie es zu dieser Entscheidung kam, erzählte er später Jörg Jung, dem Macher des Willipedia-Podcasts. Zwar habe er schon immer von einer Immobilie im Süden geträumt, das größte Argument seien aber die Ärzte gewesen. „Es hängt ein bisschen damit zusammen, dass wir älter werden und hier einfach die medizinische Versorgung großartig ist. Es gibt hier viele deutsche Ärzte. Ich hätte gerne, dass in dem Moment, wo die Probleme größer werden, jedes Wort, das ich sage, verstanden wird“, so der 56-Jährige.
Komplett auf die Insel ziehen wolle seine Frau und er aber nicht. Es bleibe bei Urlauben, die nun aber länger werden. Jürgen Klopp bestätigte erstmals auch, seine Karriere nicht beenden zu wollen. „Dass ich gar nicht mehr arbeite, ist ausgeschlossen“, sagte er im Podcast. „Aber dass ich genauso in dem gleichen Rhythmus weitermache, in dem ich es bisher gemacht habe, das sehe ich im Moment auch nicht.“
Artikel von Frank Feldmeier erschienen in der Mallorca Zeitung
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