Globale Mindeststeuer – ein europäisches Eigentor mit geopolitischer Tragweite
Die Einführung der globalen Mindeststeuer – bekannt als Pillar II der OECD-Steuerinitiative – war ursprünglich als ein Meilenstein der internationalen Steuerkoordinierung gedacht. Sie sollte Steuervermeidung bekämpfen, den Steuerwettbewerb eindämmen und sicherstellen, dass global agierende Unternehmen einen „fairen“ Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Über 140 Staaten hatten sich auf dem Papier zur Umsetzung dieser Steuerform bekannt – ein ambitionierter Konsens, der jedoch bei der praktischen Umsetzung krachend scheiterte.
1. Das hehre Ziel: Steuervermeidung beenden, Fairness herstellen
Pillar II sieht vor, dass große multinationale Konzerne unabhängig von ihrem Sitz eine effektive Mindestbesteuerung von 15 % auf ihre Gewinne entrichten müssen – und zwar dort, wo sie tätig sind. Der Mechanismus erlaubt es Staaten, bei Unterschreiten dieses Satzes eine Nachversteuerung vorzunehmen. So sollte verhindert werden, dass sich Konzerne in Niedrigsteuerländern ansiedeln, um dort künstlich Gewinne zu parken. Was auf dem Papier wie eine vernünftige Maßnahme zur Bekämpfung von Steuerdumping klingt, wurde in der Praxis schnell zur politischen und ökonomischen Falle – vor allem für die Europäische Union.
2. Die USA steigen aus – und erhöhen den Druck
Während Brüssel und Berlin eifrig an der Umsetzung arbeiteten, verabschiedeten sich drei der größten Volkswirtschaften – USA, China und Indien – stillschweigend aus der praktischen Implementierung. Besonders schwerwiegend: Die USA hatten ursprünglich versprochen, die Regelungen mitzutragen. Als sich jedoch Widerstand in der republikanischen Opposition regte und insbesondere die globale Mindestbesteuerung als Bedrohung für die US-Wirtschaft wahrgenommen wurde, kippte Washington. Und es blieb nicht beim Rückzug.
Die „One Big Beautiful Bill“, eine Gesetzesinitiative der Republikaner, enthielt mit „Section 899“ eine gezielte Strafmaßnahme: Zusätzliche Steuerbelastungen auf Dividenden europäischer Anleger sowie auf in den USA erzielte Unternehmensgewinne, sofern diese aus Staaten stammen, deren Steuerpolitik als „unfair“ gilt – konkret also aus Ländern, die Pillar II ohne Gegenleistung auf US-Unternehmen anwenden. Der politische Subtext: Wer in Washingtons steuerpolitische Hoheit eingreift, wird ökonomisch zur Rechenschaft gezogen. Ein geopolitisches Muskelspiel, das Wirkung zeigte.
3. Der Deal: Kein Pillar II für US-Unternehmen – keine Strafsteuern
In zähen Verhandlungen mit den G7-Staaten wurde schließlich ein Kompromiss erzielt: Die USA verzichten auf Section 899 – im Gegenzug wird Pillar II nicht auf US-Unternehmen angewendet. Das bedeutet faktisch: Die USA profitieren von der weltweiten Transparenz und Steuererhebung, ohne selbst die eigenen Konzerne dem Regelwerk zu unterwerfen. Ein klarer strategischer Sieg für Washington – und ein diplomatischer Rückschlag für Brüssel.
4. Europa isoliert – und in der Bürokratiefalle
Derzeit haben lediglich 55 Staaten weltweit Pillar II eingeführt – darunter alle 27 Mitgliedstaaten der EU, die sich einmal mehr als globaler Musterschüler gerieren. Doch dieser „Regelgehorsam“ hat gravierende Folgen:
Erheblicher Verwaltungsaufwand: Allein in Deutschland entstehen laut ZEW Einmalkosten von 320 Mio. € sowie jährliche Folgekosten von über 100 Mio. €.
Geringer fiskalischer Nutzen: Die Mehreinnahmen durch die Mindeststeuer sind marginal – vor allem, weil viele Konzerne ohnehin über dem Mindestsatz liegen.
Verzerrung des Standortwettbewerbs: Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen leidet, insbesondere gegenüber US-Konzernen, die ihre Steuerstruktur weiterhin flexibel gestalten können.
Komplexität bei der Umsetzung: Neue Meldepflichten, zusätzliche Steuerformulare und die Notwendigkeit länderspezifischer Daten erhöhen den operativen Aufwand für international tätige Unternehmen erheblich.
5. Die politische Realität: Symbolpolitik vor Standortlogik
Anstatt nach dem US-Exit den Alleingang zu überdenken oder zumindest temporär auszusetzen, hält Brüssel stur an der Umsetzung fest – aus Angst, das politische Gesicht zu verlieren. Doch das hat seinen Preis: Die europäische Wirtschaft steht am Rande einer Deindustrialisierung, die Kapitalflucht in außereuropäische Regionen nimmt zu – und mit ihr das Vertrauen in eine unternehmerfreundliche Steuerpolitik.
6. Bewertung aus Sicht international mobiler Unternehmer und Family Offices
Für vermögende Privatpersonen, Unternehmer und internationale Investoren stellt sich angesichts dieser Entwicklung eine zentrale Frage: Wie verlässlich und kalkulierbar ist der europäische Rechts- und Steuerrahmen noch? Die globale Mindeststeuer zeigt, dass europäische Steuerpolitik zunehmend von Symbolik statt von Pragmatismus geprägt ist. Die Folgen:
Standortverlagerungen von Family Offices und Holdingstrukturen in Länder außerhalb der EU, die nicht an Pillar II gebunden sind.
Zunahme von Asset Protection-Strukturen, die das internationale Steuerrecht kreativ – aber legal – nutzen.
Reaktivierung des Steuerwettbewerbs, jedoch außerhalb des OECD-Systems: Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur oder die Schweiz bieten planungssichere Alternativen mit klaren Rahmenbedingungen.
7. Fazit: Lektion nicht gelernt – Europa droht sich selbst zu marginalisieren
Statt sich als globaler Vorreiter einer fairen Besteuerung zu inszenieren, hat sich die EU in ein ungleiches Spiel begeben, bei dem sie nur verlieren konnte. Der Preis ist hoch: Mehr Bürokratie, weniger Wettbewerbsfähigkeit und ein wachsender Vertrauensverlust in die wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit Europas. Der Fall „globale Mindeststeuer“ steht exemplarisch für eine geopolitisch naive Haltung gegenüber den ökonomischen Realitäten. Wer gegen die USA ein steuerpolitisches Signal setzen will, muss strategisch vorbereitet sein – und im Zweifel bereit, Allianzen zu schmieden oder auch zurückzurudern. Diese Flexibilität fehlt derzeit in Brüssel.