ChatGPT - Tsunami der Informationsgesellschaft
27. April 2023Eine Vorhersage sei hier gewagt: Chatbots werden sehr rasch Teil unseres Lebens werden, so wie Elektromotoren oder Kunststoffe bereits sind. Wir können jedenfalls beobachten, wie junge Leute Chatbots bereits mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit und Geschick in ihrem Alltag einsetzen. Wir erleben in diesen Tagen den iPhone-Moment der Künstlichen Intelligenz (KI). Was gestern nur für Tüftler und Konzernstrategien von Belang war, tritt aus dem Schattenreich der Labors heraus, um das Wirtschaftsleben neu zu definieren.
Warum das wichtig ist: Nach dem Kunststoff, dem Kunstrasen, dem Kunstschnee, dem Kunstherzen und der künstlichen Hüfte betritt nun auch unser Gehirn die dritte Dimension. Unsere Intelligenz wird künstlich.
Diesmal haben nicht die unübertroffenen Vertreter der Menschenliebe, Facebook, Google, Amazon & Co, sondern Microsoft mit dem System ChatGPT seine Suchmaschine aus dem niederen Status des Archivars befreit, der lediglich Dokumente aus den Untiefen des Internets nach oben befördert. Der Archivar wird nun zum Professor befördert, der die Fundstücke analysiert und zu einem eigenen Werk verdichtet. Oder anders gesagt: Wenn das Internet bisher aus lauter Noten bestand, entwickelt ChatGPT daraus eine Komposition.
Ist Künstliche Intelligenz gut?
Mit der Dampfmaschine wurde körperliche Arbeit vom Menschen auf die Maschine verlagert. Der Beruf des Webers, des Zeitungssetzers und der des Heizers auf der Lok verschwand. Jetzt wird geistige Arbeit auf die Maschine verlagert, was bedeutet: Arbeitsplätze wie der Übersetzer, der Forschungsassistent und der Buchhalter sind akut bedroht. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass durch Künstliche Intelligenz bis 2025 etwa 85 Millionen Arbeitsplätze ersetzt werden. ChatGPT übernimmt die Hausaufgaben, die der Schüler eigentlich selbst machen sollte. Die künstlich geschriebene Doktorarbeit dürfte bald schon von dem in eigenständiger Hand- und Denkarbeit erstellten Werk kaum mehr zu unterscheiden sein.
ChatGPT versucht Rassismus, Sexismus oder Hassrede zu vermeiden, wobei die Grenze zur Zensur fließend sein dürfte. Wer entscheidet, was das Programm ausspucken darf und was nicht? ChatGPT selbst sagt: Um diese Risiken zu minimieren, ist es wichtig, dass Künstliche Intelligenz politisch reguliert wird. Warten wir ab was da noch auf uns zukommt.
Wo liegt das wirtschaftliche Potenzial?
Diese Künstliche Intelligenz könnte eine Produktivitätsrevolution in den Firmen auslösen, weil alle einfachen Geistesarbeiten nun automatisiert werden können. Anwaltskanzleien lassen sich ihre Schriftsätze, Staatsanwälte ihre Anklageschriften und Steuerberater ihre Beratungsgutachten ohne menschliche Zuarbeit erstellen. Der Mensch wird die Arbeit noch kontrollieren, aber nicht mehr ausführen. Der Chef steht dann – wie heute das Personal im Supermarkt neben den vollautomatisierten Kassensystemen – nur als Wächter und letzte Instanz neben der Maschine.
Für die Weltwirtschaft könnte durch Produktivitätssteigerung und günstigere Preise für bisher personalintensive Dienstleistungen das weltweite Bruttoinlandsprodukt signifikant steigen, sagen einige Studien.
Wann beraten wir mit Chat GPT?
Für die Wirtschafts-, Steuer- und Rechtsanwaltsbranche könnte Künstliche Intelligenz umwälzende Konsequenzen haben. Wer in diesen Tagen die Webseiten von Steuerkanzleien studiert, findet unter aktuellen Texten mitunter eine recht neue Quellenangabe. „Erstellt mit Hilfe von ChatGPT“, steht zum Beispiel unter einfachen Urteilsanmerkungen oder Mitteilungen der Berater an ihre Mandanten.
Die Einführung von Künstlicher Intelligenz stellt keine allzu große Hürde dar. Denn die ersten Schritte sind vergleichsweise wenig aufwendig. Grundsätzlich scheint es möglich, mit KI etwa die Hälfte der üblichen Zeit für eine solche Aufgabe einzusparen. Zudem kann intelligente Software die Beschäftigten der Kanzleien bei Recherchen entlasten –indem sie beispielsweise alle Urteile zu einem bestimmten Thema zusammenträgt. Auch als Chat-Tool könnte KI unterstützen – etwa wenn Mandanten anrufen, um die Höhe der Steuerzahlung zu erfragen. Darauf kann ein solches Programm antworten, wenn es Zugang zur passenden Datenbasis hat.
Doch genau hier liegt derzeit ein elementares Problem: ChatGPT-Anbieter OpenAI behält sich vor, eingegebene Informationen zu speichern und zu nutzen. Das hat zur Konsequenz das die hochsensiblen Unternehmens-, Finanz- und Steuerdaten nicht gesichert und unkontrolliert öffentlich werden könnten.
Wie verhält sich die PlattesGroup?
Wir vertreten die Meinung, dass diese Technologie erstmal neutral ist und wir einen chancenorientierten Blick auf die möglichen Anwendungen behalten. Wir haben ein ChatGPT-Team mit drei IT-Spezialisten und dem Input von Steuerberatern und Rechtsanwälten gegründet und arbeiten intensiv daran für unsere Kanzlei eine eigene ChatGPT-Umgebung – ohne Zugriff von OpenAI – zu schaffen die nur für Personen zugänglich ist, die sich vorher identifizieren. Das Team nutzt die Funktionsweisen von generativen KI und Sprachmodellen sowie die Methoden des Prompt Engineering (Interaktion zwischen Nutzer und System mittels natürlicher Sprache), um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Aktuell trainieren wir die Anwendungsmöglichkeiten an unserer virtuellen Wissensdatenbank https://willipedia.plattes.net/wissen in einer eigenen gesicherten Chat GPT-Umgebung. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr erfreulich. Sobald wir eine vorläufige Marktreife erreicht haben werden wir die Ergebnisse – auch unter dem Aspekt der Datensicherheit – dem Rütteltest der Praxis aussetzen.
FAZIT
Die Aufregung um ChatGPT ist groß. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt jedoch, wo die Stärken und Schwächen der KI liegen. Als digitaler Assistent ist der Chatbot durchaus interessant. In der Rechts- und Steuerberatung steht der Abschied vom reinen „Manufakturansatz" durch verstärkte Vorfertigung und Automatisierung bevor. Zwar wird damit die anwaltliche und steuerliche Beratung des Einzelfalls und Haftung (!) nicht ersetzt. Aber ChatGPT wird - auch in der Finanzverwaltung und der Justiz - bei vernünftigem Einsatz für Entlastung angesichts des dramatischen Rückgangs qualifizierter Juristen und Steuerberater sorgen. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, bei Rechtsanwendern und Rechtssuchenden den „Automation Bias" zu verhindern („wird schon stimmen / muss doch stimmen"). Klare Regeln und Qualitätskontrollmaßstäbe sind dafür unverzichtbar.
Voraussetzung ist auch, dass die neuen Tools nach der Einführung entsprechend gepflegt werden und Beschäftigte und Mandantschaft das nötige Know-how aufbauen. KI-Verantwortliche müssen sich deshalb nicht nur fachlich auskennen, sondern sich zugleich im Team als Multiplikator erweisen, damit Belegschaften und die Mandantschaft die Innovation akzeptieren.
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