Schweigen war keine Option
12. September 2024„Hallo mein Lieber, hier kräht der Hahn“, meldet sich die Stimme gewohnt humorvoll am Telefon. Doch sie hat derzeit nur noch wenig gemein mit der sonoren Stimme, die die meisten deutschsprachigen Mallorca-Residenten und viele Urlauber kennen dürften. 15 Jahre war der Saarländer Jörg Jung beim Inselradio auf Sendung. Seit Ende vergangenen Jahres moderiert er die Podcasts für das in Palma ansässige Steuer- und Rechtsbüro PlattesGroup. Vor knapp zwei Monaten hat Jörg Jung nun seine Stimme verloren.
Schuld war eine Corona-Infektion. An einem Freitag Ende Juli hatte er noch einen Podcast mit MZ-Chefredakteur Ciro Krauthausen aufgenommen. Einen Tag darauf bekam er hohes Fieber. Am Sonntagmorgen war plötzlich die Stimme weg. „Am Anfang denkt man sich nichts dabei“, erzählt er. Als es Tage später immer noch nicht besser war, ging er zum Arzt. Die Corona-Infektion hatte eine schwere Entzündung im Rachen ausgelöst, es hatten sich Knoten auf den Stimmbändern gebildet. Die Ärzte verschrieben ihm Kortison. Und machten deutlich, dass es mit der Heilung länger dauern würde.
"Ich hatte Glück im Unglück. Vor fünf oder sechs Jahren hätte ich sicher nicht so leicht eine Lösung gefunden.“
Für den Radiomann, der auch regelmäßig als Sänger auf der Insel auftrat und darüber hinaus mehrere deutsche Radiosender mit selbstproduzierten Comedy-Inhalten belieferte, keine leichte Erkenntnis. „Natürlich hatte ich Angst. Ich habe mir meine Karriere in den vergangenen 25 Jahren mit meiner Stimme aufgebaut“, sagt er. Jetzt stand plötzlich alles auf der Kippe.
Doch die Furcht wich schnell dem Drang, eine Lösung zu finden. Er sei der künstlichen Intelligenz (KI) gegenüber immer eher kritisch gewesen, sagt er. „Eigentlich bin ich es immer noch.“ Auch habe er keine großen Er-wartungen gehabt, als er das Programm des Software-Unternehmens „ElevenLab“ ausprobierte. Das Versprechen der KI: einen geschriebenen oder gesprochenen Text in eine gewünschte Stimme zu verwandeln. Jung spielte Aufnahmen seiner normalen Stimme ein, um das Programm anzulernen. Dann sprach er einen Text ein – und war begeistert. „Wenn man genau hinhört, gibt es immer ein, zwei Stellen, an denen es hakt, ansonsten schafft es die KI tatsächlich, meine Stimme zu imitie-ren“, sagt Jörg Jung.
Wie die Verwandlung der Stimme klingt, hat Jung kürzlich in einem Podcast der PlattesGroup präsentiert. Am Anfang spricht er mit seiner angeschlagenen Stimme, dann schaltet er auf die KI um, und spricht in der allseits bekannten Jörg-Jung-Stimme weiter.
23 US-Dollar kostet das Monatsabo für das Programm – ein vergleichsweise geringer Preis, wenn man bedenkt, dass Jörg Jung damit seine Arbeit behalten kann. „Ich hatte riesiges Glück im Unglück. Vor fünf oder sechs Jahren hätte ich sicher nicht so leicht eine Lösung gefunden“, sagt er.
Langsam werde es auch mit seiner echten Stimme besser. „Wenn ich leise spreche, klingt es für mich manchmal schon fast wie früher“, erzählt er. Drei oder vier Monate, vielleicht sogar ein halbes Jahr würde es dauern, bis die Stimme sich wieder normalisiere, hätten ihm die Ärzte gesagt. Im schlimmsten Fall müsse er operiert werden, wenn es nicht besser wird.“ Von einer Leidenschaft muss sich Jung aller-dings verabschieden: „Singen kann ich nie mehr“. Zu groß sei das Risiko, dass die Stimmbänder überreizt werden. Aber Jörg Jung wäre nicht Jörg Jung, wenn er die Situation nicht mit Humor nähme: „Ich hoffe nur, dass meine KI-Stimme jetzt keinen Virus bekommt.“
Den Artikel verfasst Patrick Schirmer Sastre, Redakteur der Mallorca Zeitung.