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"Der deutsch-französische Motor der EU ist nicht kaputt"

Table.Today bei NEU DENKEN: Michael Bröcker und Jean Asselborn im Gespräch.

Kann nur China das Ende des Ukraine-Kriegs herbeiführen? Und weshalb ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich so abgekühlt? Wichtige Fragen beim diesjährigen Wirtschaftsforum NEU DENKEN im Mai. Einer der besten Journalisten Deutschlands Michael Bröcker wollte darauf antworten, im Table.Today Podcast-Interview mit Jean Asselborn, dem ehemaligen Außenminister Luxemburgs. Wir hören rein... 

Den Link zur ganzen Table.Today Podcast-Folge, in der es auch um die Zukunft des Verbrenners in der EU geht, finden Sie hier...

Weitere Informationen über das 7. Wirtschaftsforum NEU DENKEN

Michael Bröcker: 
Einen schönen guten Tag, Herr Asselborn.

Jean Asselborn: 
Guten Tag, Herr Bröcker.

Michael Bröcker: 
Herr Asselborn, gibt es irgendwo am Horizont zwei Wochen vor der Europawahl ein Friedenssignal, wenn wir über die Ukraine reden? Oder sehen Sie es nicht?

Jean Asselborn: 
Ich sehe keine. Ich müsste lügen. Man müsste eine herbeizaubern. Wir müssen natürlich als Europäische Union bereit sein, dass, wenn ein Fenster aufgeht, dass wir da sind. Aber Sie sehen ja auf dem Terrain, was geschieht. Putin bombardiert weiter die Ukraine, die Ukraine wehrt sich und bombardiert die Krim. Also es gibt keine Anzeichen, dass irgendwie eine Stabilität oder sagen wir mal, eine Waffenruhe eintreten könnte. Es sind wichtige Daten jetzt, die vor uns sind. Ich glaube, die europäischen Wahlen werden da nicht viel eingreifen. Aber zum Beispiel das, was Mitte Juni soll in der Schweiz organisiert werden.

Michael Bröcker: 
Darüber müssen wir reden. Die Friedens-, die mögliche Friedenskonferenz. Könnte es da mit der Teilnahme von Joe Biden, immerhin dem indischen Premierminister, aber eben ohne China und Russland, kann es dann überhaupt eine Art Friedenskonferenz sein?

Jean Asselborn: 
Ich glaube nicht, dass man jetzt sagen kann, dass in dieser Konferenz der Frieden beschlossen wird. Das ist unmöglich. Was beschlossen werden könnte, ist, dass man sich mit den Ukrainern wenigstens einigen könnte, dass die Ukraine bereit wäre, einen Dialog wieder aufzunehmen mit Russland. Müsste man natürlich auch Russland dazu bewegen können. Das könnte an zwei Tischen stattfinden, indirekt, dass man miteinander spricht wieder, was es ja schon gab. Das ist ja nicht, dass es das noch nie gab seit dem Anfang des Krieges. Ich glaube, das ist das, was man anpeilen könnte. Aber wissen Sie, in diesem Krieg, in dieser Verbitterung, die jetzt da stattfindet, gibt es keinen Moment, wo man sagen kann bis dahin und dann machen wir Schluss und dann kommen wir zum Frieden. Es könnte sogar so sein, dass Putin das macht, was er schon in anderen Ländern gemacht hat, dass er nie zu einem Waffenstillstand kommt und auch es nie zu einem Friedensvertrag kommt. Dass diese eingefrorenen Konflikte, die wir ja kennen, zum Beispiel in Moldawien, Transnistrien, auch Georgien, ein Teil von Georgien und dass er damit die Instabilität dieses riesigen Landes fördert. Das andere, was wir nicht aus dem Kopf verlieren dürfen bei dem Ganzen, wenn es keine militärischen Lösungen gibt für diesen Konflikt, wenigstens auch nicht für Putin. Wenn es den nicht gibt, dann müssen wir das weiter tun, was wir bis jetzt tun. Das heißt der Ukraine mit Munition helfen, dass sie sich besser wehren kann. Sie wissen, das Verhältnis ist eins zu fünf. Also wenn die Russen fünfmal schießen, können zurzeit die Ukrainer nur einmal antworten. Und dass auch geholfen wird mit Patriots, was ja auch Deutschland jetzt macht. Was andere noch machen müssen um ihre Abwehr im Himmel, dass sie die hinbekommen. Und das Wichtige ist dabei, dass wenn der Augenblick kommen würde, wo Putin dann sagt okay, wir setzen uns an einen Tisch, dass dann zu dem Moment die Ukraine nicht aus einer Position der Schwäche heraus an Verhandlungen muss herangehen.

Michael Bröcker: 
Sie sind ein Politiker, der wie kein anderer über fast 20 Jahre Außenpolitik und Diplomatie in Europa gemacht hat. Gibt es eine Methode, eine Taktik, wie man zwei Parteien und es ist klar, wer der Aggressor ist. Aber trotzdem muss es ja irgendwie zu einem Frieden kommen. Das geht nun mal nur mit beiden, wie man gesichtswahrend etwas verhandeln kann, damit am Ende beide zustimmen. Selbst wenn klar ist, wer hier der Verursacher dieses schlimmen Kriegs ist?

Jean Asselborn: 
Es gibt keine Schablone für diesen Krieg. Es gab etwas, was wir zum Beispiel 2003 ja hinbekommen haben. Nach dem Irakkrieg gab es ein Vorgehen auch in der Europäischen Union, um die Europäische Union wieder zusammenzubringen und auch, um mit dem Irak und mit den Ländern in der Region wieder ein anderes Verhältnis zu bekommen. Sie wissen, dass damals eine tiefe Spaltung war in der Europäischen Union, aber auch zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Aber das war etwas ganz anderes als dieses hier. Hier sind wir noch mitten in einem Krieg und es gibt keine Anzeichen, dass dieser Krieg vorübergeht. Warum geht der Krieg nicht vorüber? Weil Putin sich anmaßt. Er sagt, da leben nur Nazis. Also haben sie kein Recht auf einen Staat und müssen eliminiert werden. Das ist ja die Grundaussage. Wer gibt diesem Putin das Recht, auf die Menschen zu schießen, auf die Infrastrukturen zu schießen, auf die Spitäler zu schießen, auf die Schulen zu schießen? Wer gibt dem das Recht, das zu tun? Und das Problem ist ja, dass in der Welt das angesehen wird als ein europäischer Krieg, wo auch die Europäer alleine müssen schauen, wie sie da rauskommen. Das macht die Sache unheimlich schwierig.

Michael Bröcker: 
Wer kann ihn stoppen? Nur China.

Jean Asselborn: 
Ja. Ja, da sage ich ja. Also Russland ist in den Händen von China. Wirtschaftlich, auch militärisch. Geopolitisch. Und China liefert keine Waffen. Aber indirekt. Meines Erachtens kommen ja keine Waffen in diesem Umfang aus Nordkorea oder dass China wenigstens weiß, dass das geschieht.

Michael Bröcker: 
Kann es sein, dass es eine Art Stellvertreterdiplomatie gibt? Indien verhandelt offensichtlich für die BRICS damit auch mit dem Mandat Chinas. Und vielleicht Paris und Berlin verhandeln auch stellvertretend für die USA?

Jean Asselborn: 
Zuerst BRICS. Schauen Sie mal, was das ist. Das ist China und Indien. Ich brauche nicht zu erzählen. Es ist Iran und Emirate und Brasilien. Welche Konflikte zwischen diesen Ländern besteht. Also BRICS ist natürlich, wenn man sieht die Zahl, also die Zahl der Menschen, die in diesen Ländern leben, viel größer als G7, auch auch wirtschaftlich auf derselben Höhe, praktisch oder sogar noch drüber. Also wir müssen wissen, dass nur aus China heraus, glaube ich... Was sind die Chinesen? Die Chinesen sind Kommunisten, aber sie sind auch Handelsleute. Und wer sind die größten Partner der Chinesen? USA, Europa und Japan. Also ich glaube, dass die Chinesen überhaupt nicht zufrieden sind mit diesem Krieg. Aber natürlich geopolitisch gegen das, was Amerika will. Nicht so was die Europäische Union will, wenn es nur die Europäische Union wäre, glaube ich, hatten wir viel mehr Druck von China und das hemmt das Ganze. Ja.

Michael Bröcker: 
Letzte Frage, Herr Asselborn, Sie haben auch Scholz und Macron noch erlebt als Außenminister. Der deutsch-französische Motor, stottert der nur oder ist er kaputt?

Jean Asselborn: 
Ist nicht kaputt. Es gab sehr oft schon Krisen. Denken Sie an Merkel mit Sarkozy. Was für mich essenziell ist, also sehr wichtig ist, das ist, dass wir in großen außenpolitischen Fragen, dass wir hier keine Debatten haben, die nur denen in die Karten spielen, die Europa kaputt machen wollen. Ob das Putin ist natürlich an erster Stelle, aber auch Leute in der Europäischen Union wie Orban. Und darum, es gibt dieses Dreieck, dieses Weimarer Dreieck, ich glaube, es ist gut, dass das besteht und dass wir auch jetzt wieder Demokraten an der Macht haben in Polen. Da kann sehr vieles beruhigt werden. Und zwischen Frankreich und Deutschland gibt es fundamentale Unterschiede, vor allem in der Mentalität. Nicht so, dass der eine Präsident ist, der andere Kanzler, aber in der Mentalität. Und die Franzosen sehen sich als die führende Kraft in der Europäischen Union, um Außenpolitik zu machen, weil sie im Sicherheitsrat sind, weil sie die nukleare Waffe haben. Und sie sagen zu den Deutschen okay, wir akzeptieren, ihr seid die Lokomotive, wirtschaftlich gesehen, aber außenpolitisch machen wir das.

Michael Bröcker: 
Ja, könnte ja klare Arbeitsteilung sein.

Jean Asselborn: 
Das ist auch eine Gute. Ich glaube das.

Michael Bröcker: 
Müssen wir unter den Nuklearschirm Frankreichs zum Beispiel gehen? Dann müssten wir sie die Luftverteidigung machen lassen.

Jean Asselborn: 
Ja, also das ist eine große Debatte schon, die angelaufen ist in Frankreich. Les intérêts vitaux de la France. Die vitalen Interessen Frankreichs, das steht in ihrer Verfassung. Wir können verteidigt werden vom Präsidenten mit Nuklearwaffen, wenn diese angegriffen sind. Das sind les intérêts essentiels de la France und nicht les ntérêts essentiels de l'Europe. Macron hat ja in Schweden schon ein wenig darüber gesprochen. Das könnte auch auf europäische Ebene übertragen werden. Aber das ist eine große Debatte, wo Le Pen natürlich total zudreht. Darüber hinaus, wenn die NATO einmal kaputt wäre, Trump wäre gewählt, NATO kaputt, NATO sind über 80% Amerika, heute noch. Und die NATO garantiert ja unsere nukleare Sicherheit. Außer Frankreich klammern wir aus. Durch die Zahl der Raketensprengköpfe ist natürlich ganz anders, was Frankreich angeht und Amerika angeht. Ich glaube, das ist 1/10 ungefähr davon. Und dann kommt natürlich die Debatte auf uns zugerollt. Wer schützt uns nuklear gegen Angriffe von Putin? Und dann braucht Europa eine nukleare Waffe. Und wir machen dann dasselbe, was wir eigentlich vermeiden wollten in den letzten 50 Jahren, nämlich die nukleare Spirale drehen wir in die Höhe, anstatt dass wir sie unter Kontrolle bekommen.

Michael Bröcker: 
Herr Asselborn, es ist etwas, "at stake" sagt man in Europa. Vielen Dank für Ihren Einblick auf unsere wunderbare Europäische Union. Und bis zum nächsten Mal!

Jean Asselborn: 
Bitte!

25. Juni 2024

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