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Wegzugsbesteuerung | Deutsche Gesetzgebung seit 01.01.2022

Das Thema „Wegzugsbesteuerung“ befasst sich mit den steuerlichen Konsequenzen

  • des Wegzugs von natürlichen Personen,
  • der Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften und
  • der Verlagerung von Betrieben/Betriebsstätten

von Deutschland ins Ausland. Im weiteren Sinne gehören hierzu auch die grenzüberschreitende Verlagerung von einzelnen Wirtschaftsgütern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) und Funktionen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) in eine ausländische Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft.

Die Motive für einen Wohnsitzwechsel ins Ausland sind in der Regel vielschichtig. In der Praxis sind die steuerlichen Folgen von Wegzug und Sitzverlegung sehr häufig Be­ra­tungs­ge­gen­stand. Bevorzugte Zuzugsstaaten sind heute vor allem solche, die einen hohem Lebensstandard und ein bevorzugtes Besteuerungsregime aufweisen. Wir haben  nachhaltige Kenntnisse und ein entsprechendes Netzwerk in den Zuzugsländern SchweizÖsterreich, GroßbritannienSpanienItalienSaudi-ArabienDubai  und den USA.

Prominente Wegzugsfälle vermitteln in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass sich vor allem reiche Deutsche durch Wegzug der deutschen Besteuerung entziehen könnten. Tatsächlich finden rein steuerlich motivierte Wegzüge eher selten statt, wenn man dem Mandanten die Voraussetzungen und Konsequenzen eines Wegzugs sowohl in steuerlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die persönliche Lebensführung aufzeigt. Außerdem ist der wegzugsbedingte Steuerspareffekt oft beschränkt (wegen verbleibender beschränkter Steuerpflicht im Inland) oder tritt – wenn überhaupt – erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung (z.B. bei der Erbschaftsteuer) ein.  

Grenzüberschreitende Bewegungen eines Steuersubjektes gehen in der Regel mit einer Verlagerung von Einkünften und Einkunftsquellen einher, die sich zu Lasten des Wegzugsstaates und zugunsten des Zuzugsstaates auswirken. Ein Steuerzugriff des deutschen Fiskus ist nur dann noch möglich, wenn er im Inland verbleibende Einkunftsquellen unter den Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 EStG, § 2 AStG) besteuern darf oder im Zeitpunkt des Wegzugs auf bislang nicht realisierte, steuerverstrickte Wertsteigerungen zugreift. Mit Wegzugsbesteuerung verbindet man gemeinhin den letzten Punkt: Der Fiskus nimmt den Wegzug zum Anlass, stille Reserven im Vermögen des Wegziehenden zu besteuern (Schlussbesteuerung). Der Zugriff des Fiskus im Zeitpunkt des Wegzugs auf nicht realisierte Wertsteigerungen kann als Wegzugsbesteuerung im engeren Sinne (i. e. S.) bezeichnet werden, weil allein der Wegzug ins Ausland steuerauslösendes Tatbestandsmerkmal ist. Die einschlägigen steuerlichen Rechtsgrundlagen wurden zuletzt 2006 durch das „Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften“ (SEStEG) wesentlich geändert. Grund für die Neuregelung der Rechtsgrundlagen waren zwei Punkte: Erstens sollen grenzüberschreitende Umwandlungen steuerneutral ermöglicht werden, sofern das deutsche Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, zweitens soll die außensteuerrechtliche Regelung zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen (§ 6 AStG) an die Vorgaben des EuGH in der Rechtssache „Lasteyrie du Saillant“ angepasst werden. Betroffen von der Wegzugsbesteuerung i. e. S. sind nach deutschem Steuerrecht Wertsteigerungen

  • in Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften (§ 6 AStG),
  • in Anteilen, welche zu einem Wert unter dem gemeinen Wert eingebracht worden sind, (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG) sowie
  • im Betriebsvermögen, sofern es durch den Wegzug ins Ausland verlagert und dadurch dem deutschen Steuerzugriff entzogen wird (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG; früher: finale Entstrickungslehre). Auch die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 Sätze 8 ff. AStG gehören hierzu. Die Besteuerung des Gewinnpotentials anlässlich einer sog. Funktionsverlagerung wirkt wie eine Wegzugsbesteuerung, auch wenn sie steuersystematisch als Verrechnungspreiskorrektur verortet ist.

Die Besteuerung von nicht realisierten Wertsteigerungen anlässlich des Wegzugs ist nicht die einzige steuerliche Folge, die zu berücksichtigen ist. Zur Wegzugsbesteuerung im weiteren Sinne (i. w. S.) gehören

  • im Wegzugsjahr die besonderen Regeln zur Abschnittsbesteuerung und zum Tarif (§§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG, 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie
  • nach dem Wegzug ggf. die Regeln zur beschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe des nationalen Rechts (§ 49 EStG, § 2 AStG, DBA).

Bei einem Wegzug aus Deutschland wird nach der Norm des § 6 AStG die Wegzugsbesteuerung grundsätzlich ausgelöst, wenn die bzw. der wegziehende Steuerpflichtige i.S.d. § 17 EStG, mithin zu mindestens 1 %, an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Der wegziehende Gesellschafter wird für Zwecke der Wegzugsbesteuerung so behandelt, als habe er seine Beteiligung zum gemeinen Wert, also zum Verkehrswert, veräußert. Gleiches gilt bei gewissen gleichgestellten Ereignissen wie beispielsweise der Schenkung oder Vererbung eines solchen Kapitalgesellschaftsanteils ins Ausland. Der Gesellschafter schuldet in der Folge eine Steuer ohne tatsächliche Veräußerung, d.h. obwohl ihm gar kein Veräußerungserlös zufließt, aus dem er die Steuer bezahlen könnte.

Die Neuregelungen gelten grundsätzlich seit dem 1. Januar 2022. Die bislang bestehende Möglichkeit, nach dem Wegzug eintretende Anteilswertminderungen im Veräußerungsfall noch rückwirkend bei der Wegzugsteuer mindernd berücksichtigen zu können, wird jedoch mit dem Jahreswechsel auch für die bereits erfolgten Wegzüge entfallen.

Was die Frage der Differenzierung zwischen dauerhaften und vorübergehenden Wegzügen anbelangt, bestehen beim vorübergehenden Wegzug zwei größere Erleichterungen. Erstens: Die entstandene Wegzugsteuer kann rückwirkend wieder entfallen, wenn nicht zuvor bestimmte schädliche Ereignisse eintreten, zu denen wie gesagt künftig auch größere Ausschüttungen aus der Kapitalgesellschaft gehören. Und zweitens: Auf Antrag kann die festgesetzte Wegzugsteuer nicht nur ratenweise gezahlt werden, sondern auch die Ratenzahlung entfallen. Bei entsprechendem „Wohlverhalten“ können so beim vorübergehenden Wegzug sowohl definitive als auch temporäre Belastungen aufgrund einer Wegzugsteuer vermieden werden.

Als vorübergehend gilt ein Wegzug dabei grundsätzlich dann, wenn die mit dem Wegzug aufgegebene unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland innerhalb von sieben Jahren wieder begründet wird bzw. im Fall der grenzüberschreitenden Anteilsübertragung der Beschenkte oder der Erbe innerhalb von sieben Jahren unbeschränkt steuerpflichtig wird und so das beim Wegzug bzw. bei der grenzüberschreitenden Anteilsübertragung verloren gegangene deutsche Besteuerungsrecht für etwaige Anteilsveräußerungsgewinne wieder begründet wird. Auf Antrag kann die Siebenjahresfrist um insgesamt höchstens fünf Jahre verlängert werden, wenn eine Rückkehrabsicht fortbesteht. Spätestens nach insgesamt zwölf Jahren kann ein Wegzug jedoch nicht mehr als vorübergehend gelten und die Erleichterungen für vorübergehende Wegzüge können nicht genutzt werden.

Ist man zunächst von einem vorübergehenden Wegzug ausgegangen, für den die (ratierliche) Zahlung der Steuer ausgesetzt wurde, und stellt sich später heraus, dass die Wegzugsteuer nicht mehr entfallen kann, ist nicht nur die Steuer vollumfänglich zu zahlen, sondern für den insofern unrechtmäßig in Anspruch genommenen Zahlungsaufschub auch ein Zins nach den allgemeinen Steuerverzinsungsvorschriften von 0,5 Prozent pro Monat bzw. 6 Prozent pro Jahr zu entrichten.

Änderungen bei der Wegzugsteuer und deren sofortige Fälligkeit

Die wohl größte Änderung ergibt sich seit 2022 bei der Frage, wann diese Wegzugsteuer effektiv an das Finanzamt zu zahlen ist. Hier ist bislang zwischen dem Wegzug in EU-/EWR-Länder einerseits und dem Wegzug in Drittstaaten anderseits zu differenzieren. Beim Wegzug in Drittstaaten, wenn wir einmal den Sonderfall Schweiz mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz ausblenden, kommt eine Stundung der Wegzugsteuer bis dato nur in Härtefällen in Betracht. Beim Wegzug in EU-/EWR-Länder hingegen kann die festgesetzte Wegzugsteuer regelmäßig zinslos und ohne Sicherheitsleistung dauerhaft gestundet werden. Die Steuer ist dann grundsätzlich erst beim tatsächlichen Beteiligungsverkauf fällig.

Dieses differenzierende Konzept wurde zu Beginn 2022 aufgegeben und die dauerhafte, zinslose Stundungsmöglichkeit auch in EU-/EWR-Fällen abgeschafft. Bei nicht nur vorübergehenden Wegzügen ist die Steuer künftig grundsätzlich sofort fällig; nur auf Antrag – und das in der Regel auch nur gegen Sicherheitsleistung – kann die Steuer in sieben gleichen Jahresraten entrichtet werden.

Zudem sind verschiedene Fälle zu beachten, in denen die noch nicht entrichtete Steuer vorzeitig fällig wird. Die eingeschränkte Stundungsmöglichkeit entfällt demnach, ähnlich den bisherigen Restriktionen, wenn der Steuerpflichtige seine Kapitalgesellschaftsbeteiligung veräußert, aber darüber hinaus künftig beispielsweise auch, wenn die Kapitalgesellschaft nach dem Wegzug Ausschüttungen tätigt, die einen bestimmten Teil des Anteilswertes im Wegzugszeitpunkt übersteigen. Die Wegzugsteuer wird künftig also tendenziell häufiger und stärker zu definitiven Belastungen führen.

Beim Wegzug in Drittstaaten kam bislang nur in Härtefällen eine Ratenzahlung in Betracht kommt, und das auch grundsätzlich nur über fünf Jahre. Jetzt ergibt sich sowohl durch das neue siebenjährige Ratenzahlungskonzept als auch die Aussetzungsmöglichkeit der Ratenzahlung in Fällen des vorübergehenden Wegzugs eine größere Fallgruppe mit Verbesserungen.

Es ist zu befürchten, dass der Kreis der schädlichen Anteilsveräußerungen nach einem Wegzug deutlich größer wird. Denn bislang gelten bestimmte Umwandlungsvorgänge die Kapitalgesellschaft bzw. die Beteiligung daran betreffend explizit nicht als schädliche Veräußerungsvorgänge. Auch diese Regelung entfällt. Für den Teil der Umwandlungen, bei denen im Zuge der Umwandlung neu erhaltene Anteile steuertechnisch in die Rechtsstellung der beim Wegzug vorhandenen Anteile eintreten, muss sich hieraus keine Änderung ergeben. Zumindest bei den Umwandlungsfällen aber, bei denen gesetzlich kein solcher Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung der Altanteile vorgesehen ist, insbesondere in Fällen des sogenannten Anteilstauschs nach § 21 UmwStG, muss damit gerechnet werden, dass die entsprechende Umwandlung zu einer definitiven Wegzugsteuerbelastung führt.

Bei vielen Steuerpflichtigen wird es nicht nur um die Frage „Wegzugsbesteuerung nach altem oder neuem Recht?“, sondern auch um die Frage „Wegzugsbesteuerung ja oder nein?“ gehen. Denn im Ergebnis kann eine Steuerbelastung durch die Wegzugsteuer sowohl für einen Wegzug nach alter als auch nach neuer Rechtslage prohibitiv wirken, was im  Übrigen auch die Europarechtskonformität der Regelung infrage stellt. Auch wenn sich diese Frage der Europarechtswidrigkeit geradezu aufdrängt, wollen Steuerpflichtige aber nun nicht unbedingt Besteuerungsrisiken tragen und vor Gerichten über die europarechtliche Zulässigkeit einer Besteuerung streiten, sondern effektive Steuerbelastungen rechtssicher vermeiden. Dies macht eine entsprechende Wegzugsplanung erforderlich, die eben nicht nur klärt, welche Auswirkungen ein Wegzug beispielsweise auf das anwendbare Ehe- und Familienrecht hat, sondern gerade auch die steuerlichen Konsequenzen optimiert.

Je früher mit der entsprechenden Planung begonnen wird, desto besser lassen sich zielführende Optimierungseingriffe in den Lebenssachverhalt vornehmen. Die Gestaltungen zielen dabei regelmäßig darauf ab, ein deutsches Besteuerungsrecht für Gewinne aus potenziellen Anteilsveräußerungen dauerhaft und unabhängig von einer Ansässigkeit der Gesellschafter in Deutschland generiert werden kann. Fiskalisch besteht dann keine wegzugsbedingte Besteuerungsnotwendigkeit und den Gesellschaftern bzw. deren potenziellen Erben wird eine internationale Mobilität ermöglicht. In Abhängigkeit vom Einzelfall können dazu Instrumente wie der Formwechsel der Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft, die Einlage von Kapitalgesellschaftsanteilen in eine (geschäftsleitende) Holding-Personengesellschaft oder Übertragungslösungen, auch unter Einsatz von Stiftungen oder Nießbrauchsgestaltungen, zum Ziel führen. Die Verschärfungen machen eine sorgfältige Planung nicht obsolet, sondern umso wichtiger.

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