Der MZ-News-Talk: Proteste, Aktionismus und Widersprüche
Wie schon vor einem Monat erwartet, geht es auch in dieser Juni-Episode um die Überfüllung Mallorcas. Die vermeintlichen Schuldigen sind schnell ausgemacht: Ausländische und vor allem deutsche Immobilienkäufer, Investoren und Ferienvermieter. Gegen sie wird demonstriert, protestiert, gesungen und auch die Parolen der Politik stimmen mit ein. Gleichzeitig investiert man weiter fleißig in Werbekampagnen für die Insel – vor allem in den USA. Ein Widerspruch. Willipedia Podcast-Content-Creator Jörg Jung spricht darüber mit Ciro Krauthausen, dem Chefredakteur der Mallorca Zeitung ...
Jörg Jung:
Ja, das könnte nicht nur wettertechnisch ein heißer Monat werden auf Mallorca. Wir reden darüber. Und zwar mit Ciro Krauthausen, dem Chefredakteur der Mallorca Zeitung. Hallöchen, lieber Ciro.
Ciro Krauthausen:
Hallo.
Jörg Jung:
Alle Monate wieder. Jetzt sind wir schon im Juni, der MZ News Talk Juni 2024 und wir befinden uns ja jetzt nunmehr mit Ausstrahlung dieser Episode mitten in der EM. Muss ich zuerst mal das Fußballfachwissen von Ciro Krauthausen herausfordern: Wer macht es in dem Jahr oder wer ist besser, Spanien oder Deutschland?
Ciro Krauthausen:
Da halte ich mich vornehm zurück. Das wäre jetzt irgendwie etwas vermessen, wenn ich da so tun würde, als ob ich große Ahnung hätte.
Jörg Jung:
Wir kommen jetzt langsam aber sicher ins Thema rein, denn Ausnahmezustand wird es auf jeden Fall geben und zwar bei den deutschen Urlauberhochburgen, Playa de Palma, Arenal brauchen wir gar nicht drüber zu reden. Public Viewing EM und wir sind beim Thema Overtourism. Wir haben letzten Monat schon darüber geredet. Interessanterweise haben wir uns da schon verabredet, haben gesagt, wir glauben, es wird weiter Thema bleiben. Es ist wirklich so! Die Politik hat reagiert, die Insel ist überfüllt. Zwischendrin hat es dann noch diesen tragischen Unfall gegeben. Das ist ja auch mitten im Touristenort, bedauerlicherweise sogar Opfer aus meiner Heimat, aus dem Saarland. Das war dort auch großes Thema. Und jetzt müssen wir noch mal irgendwie so eine Zwischenbilanz ziehen. Die Balearenregierung hat reagiert, hat gesagt, da muss sich was ändern. Hat sich denn jetzt schon mal irgendwas getan oder bleibt es jetzt erstmal eigentlich beim Alten?
Ciro Krauthausen:
So schnell geht das ja nicht. Ich würde auch ehrlich gesagt auch gerne erst mal abwarten. Die Urlauberzahlen Ende des Jahres. Wie viele werden es denn sein? Mein Eindruck ist, es gibt auch eine gewisse Hysterie, die ausgebrochen ist in Sachen Urlauber-Überfüllung. Und schon seit einigen Jahren sind es beträchtliche Zahlen an Urlaubern, die hier auf der Insel landen. Aber ob das jetzt dieses Jahr so viel schlimmer ist als zuvor, wage ich zu bezweifeln. Was immer stärker pressiert, ist die Wohnungsnot auf der Insel. Wir haben das Thema auch schon mal angeschnitten, aber ich glaube, das ist der ausschlaggebende Faktor. War auch der ausschlaggebende Faktor an dieser, auch in Deutschland sehr stark wahrgenommenen Massendemonstration mit an die 10.000 Menschen, die auf die Straße gegangen sind oder vielleicht waren es auch 15.000, so genau zählt das ja niemand, wo es darum ging, die Insel steht nicht zum Verkauf. Eine direkte Kritik auch an ausländischen Immobilienkäufenauf der Insel. Von einem Teil der Öffentlichkeit wird es dafür verantwortlich gemacht, dass hier auch der Wohnraum fehlt. Das ist alles sehr verkürzt dargestellt. Da spielt die Ferienvermietung eine ganz große Rolle, dass so viel Wohnraum in die Ferienvermietung geht und dadurch irgendwie für die Bewohner der Insel nicht mehr zur Verfügung steht. Oder für die Leute, die zum Arbeiten auf die Insel kommen. Und das ist auch sozusagen der Hauptpunkt, wo die Behörden jetzt versuchen vorzugehen. Also erst mal die illegale Ferienvermietung - es gibt ja auch eine legale Variante - gegen diese illegale Ferienvermietung massiv vorzugehen. Und da sind gerade heute auch wieder neue Inspektionen angekündigt worden und so, das ist die Stoßrichtung.
Jörg Jung:
Ich wollte gerade fragen, ist das Personal überhaupt da, das so anzugehen, wie man sich das wünscht?
Ciro Krauthausen:
Sicherlich ist das nicht genügend. Da muss noch irgendwie aufgestockt werden. Das muss natürlich auch irgendwo untergebracht werden, das Personal. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Mal sehen, mal sehen. Also das sind komplizierte Prozesse. Das andere ist, und das deutete sich auch vor einem Monat schon an, also dieser 180 Grad Schwenk der konservativen Landesregierung, die ja jetzt auch sehr öffentlichkeitswirksam auch im Vorfeld der Europawahlen, das spielt ja auch noch eine Rolle, es ging ja darum, irgendwie auch diese Wahlen zu gewinnen, was letztlich für die Konservativen gelungen ist, sich sehr öffentlichkeitswirksam jetzt als - in Bezug auf den Tourismus in Bezug auf Überfüllung der Insel auf Overtourism - sehr kritische Partei darstellt, die es in der Vergangenheit so nicht war, das immer so ein bisschen heruntergespielt wurde dieses Problem. Das ist vorbei. Jetzt wird ständig darüber diskutiert, was kann man machen? An welcher Schraube können wir drehen? Und es ist ein Forum einberufen worden, wo insgesamt 140 Organisationen und Verbände eingeladen worden sind, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie soll es denn nun weitergehen? Was ja im Prinzip der richtige Ansatz ist. Kann man sich schnell irgendwie ja darüber einig sein. Ist aber nicht so ganz einfach zu handhaben, wenn da 140 Leute so ihren Gesichtspunkt einbringen. Der Kopf des Ganzen ist ein auf der Insel sehr renommierter Wirtschaftswissenschaftler, der das in verschiedenen Gruppen organisieren soll. Und da werden wir sehen, was da dabei herauskommt.
Jörg Jung:
Ein Baustein war ja, der Wohnungsbau soll angetrieben werden, der soziale Wohnungsbau, allgemeine Bauflächen zur Verfügung gestellt werden. Hat sich da was gerüttelt? Gibt es denn schon den einen oder anderen, der sagt, so, jetzt ziehen wir das hoch oder ist das auch noch Brachland im wahrsten Sinne des Wortes?
Ciro Krauthausen:
Also das ist auch wieder so eine erstaunliche Entwicklung. Man hat das Gefühl, hier bricht Aktionismus aus. Also jetzt der Bürgermeister - Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass er nicht irgendeine neue Ankündigung macht. Zunächst waren es 1200 Wohnungen, die gebaut werden sollen, mit gedeckelten Preisen. Also im Grunde genommen auch wieder: Die Sozialwohnungen, die jahrelang vernachlässigt wurden, werden jetzt wieder angekurbelt und dann auch sozusagen eine Freigabe von Genehmigungen, die jetzt auch auf einen Schlag - wie viele waren es? Ich glaube, es waren 13.000 - weitere Wohnungen sollen dann irgendwie auch ermöglicht werden. Das geht alles so ein bisschen holterdiepolter. Also da hat man nicht so das Gefühl, dass das jetzt so durchdacht ist, zeigt aber wiederum, wie besorgt man auch in der Politik darüber ist, dass dieser Unmut weiter wachsen könnte und gleichzeitig diese Protestbewegung, die sich da formiert hat, die arbeitet auch weiter daran. Wir waren jetzt kürzlich dabei, waren auf einer weiteren Vollversammlung. Die machen dann so Versammlungen, wo sie das besprechen, lassen auch die Presse rein, reden da nicht so ganz offen. Man hat auch so das Gefühl, ja, das ist so ein bisschen für die Medien. Aber klar ist, da sind erfahrene Organisationen und die organisieren weiterhin oder die planen weitere Protestkundgebungen. Und das dürfte uns den ganzen Sommer über begleiten.
Jörg Jung:
Wir warten es weiter ab.
Ciro Krauthausen:
Ja, es sind auch sehr öffentlichkeitswirksame und medienwirksame Aktionen, die da vorbereitet werden. Also wenn irgendwie Strände besetzt werden und da tut sich einfach eindeutig viel und das wird uns immer weiter beschäftigen, es reisen auch gerade etliche Korrespondenten an, die dann auch noch mal darüber berichten werden für die deutschen Medien. Also ich glaube, man muss aufpassen, dass es nur fokussiert wird auf den Massentourismus. Es geht auch um eine andere Frage, es geht auch um Immobilien, es geht auch um Investitionen auf der Insel und das ist teilweise etwas verkürzt dargestellt worden in Deutschland. Und es geht weniger um die Urlauber in Hotels oder klassische Strandurlauber, was glaube ich vollkommen verkehrt ist, wenn jetzt ein Bild in Deutschland entsteht "Die wollen uns hier nicht mehr". Ja, das ist nicht wirklich so!
Jörg Jung:
Ich höre persönlich immer mehr, die ganz "Normalos", die sagen, Mallorca ist hier zu Ende, wir orientieren uns Richtung Festland. Spürt ihr das, oder spürst du das auch? Oder ist es von mir subjektiv, dass ich es einfach in den letzten Tagen und Wochen immer mehr zu hören kriege?
Ciro Krauthausen:
Das ist im Grunde genommen auch Teil dieser ganzen Protestbewegung. Es kann ja nicht angehen, dass jetzt die Mallorquiner die Insel verlassen müssen, weil sie hier nichts mehr finden. Das bezieht sich aber eher, glaube ich, auf die einheimische Bevölkerung. Und dieser Trend dazu, sich etwas zuzulegen im Norden Spaniens, den gibt es auch, weil es einfach dann noch bezahlbar ist, wenn man sich vielleicht ein Ferienhaus leisten will. Das kann man sich hier nicht mehr leisten angesichts der großen ausländischen Nachfrage. Man kann es sich aber dort leisten. Das zum einen und zum anderen ist natürlich auch der Klimawandel immer wieder ein Thema, dass man sagt aus mallorquinischer Perspektive: Als Inselbewohner möchte ich vielleicht jetzt nicht die ganz heißen Sommer hier erleben, dann habe ich lieber einen Rückzugsort im Norden.
Jörg Jung:
Und das Thema Wasserknappheit wird uns in diesem Jahr auch wieder örtlich hier beschäftigen. Das kommt ja dann noch dazu, dass man die Pools auch nicht mehr füllen kann.
Ciro Krauthausen:
Ja, das ist alles nicht so schön. Also das Extremwetter ist nicht schön, das haben wir jetzt auch wieder erlebt, was das für Auswirkungen haben kann. Dann so ein massiver Wolkenbruch. Oder wenn ein Flugzeug versehentlich in einen Hagelschauer reinfliegt, in eine Superzelle. Und diese Extremwetterphänomene, wir blenden die gerne aus, aber sie häufen sich und das macht alles komplizierter.
Jörg Jung:
Irgendwie muss man aber auch sagen, was Tourismuspolitik angeht, es bedient auch hier so ein bisschen das Klischeehafte "Der Deutsche". Ist halt wirklich so, ich erinnere an dieses prägnante Foto der letzten Protestaktion. Das war ja offensichtlich ein nachgemachtes deutsches Immobilienmakler-Schild, das den Mallorquiner fesselt. Also ich habe so ein bisschen den Eindruck, das ist klischeehaft. Aber jetzt zum Beispiel Werbung Richtung US Markt oder weitere ausländische Märkte wird ja trotzdem gemacht.
Ciro Krauthausen:
Es gibt viele Widersprüche sozusagen. Auch in dieser Politik oder in dieser Darstellung nach Außen. Ich sprach neulich mit Verantwortlichen der Tourismuspolitik hier, die das weiterhin befürworten, offensiv in den USA zu werben. Die gehen natürlich davon aus, da kommen nicht so viele und sie sind sehr zahlungskräftig. Aber lass die US Amerikaner mal auf den Trichter kommen, es sind irgendwie ein paar mehr Flüge usw. und dann kann das aber auch wieder irgendwie eine beträchtliche Besuchergruppe darstellen. Und wir haben jetzt gerade die Kardashians...
Jörg Jung:
... lass die noch viermal kommen und ein Haus kaufen...
Ciro Krauthausen:
Sie waren jetzt auch schon da und das sind Leute, gerade diese Kardashians, das war mir gar nicht so klar, aber die haben irgendwie 350 Millionen Follower, das muss man sich mal vorstellen im Instagram und Schippern hier über Mallorca. Jetzt haben die alle - natürlich nicht die 350 Millionen, aber doch einige davon - haben es jetzt mal läuten gehört, Mallorca und so was. So was setzt sich ja fort. Und das wäre zum Beispiel so ein Widerspruch. Oder der Bürgermeister von Palma ist ja gerade extrem kritisch jetzt in Sachen Überfüllung, aber gleichzeitig geben sie dann frei, zum Beispiel die Restaurantterrassen im Zentrum können jetzt wieder ausgebaut werden. Es gibt also so viele so Punkte, wo man sagt, hm, so ganz haut das nicht hin. Was ist mit den Deutschen? Wie werden die Deutschen hier auf der Insel wahrgenommen? Ich war auf einem Konzert vom Mallorca Live Festival. Es war auch ein hauptsächlich einheimisches Publikum, die vielleicht 10.000, 20.000, die dann dort waren. Und der bekannteste Künstler, ein Latino Musiker "Rels B", ein Mallorquiner, er hetzte regelrecht ein bisschen gegen Deutsche sozusagen vor dieser Menge. Und das kann man hier gar nicht zitieren, was er sagte. Also er machte die Deutschen, explizit die Deutschen, dafür verantwortlich, dass die Strände so voll sind.
Jörg Jung:
Ist natürlich differenziert zu betrachten.
Ciro Krauthausen:
Ist differenziert zu betrachten. Aber warum macht er das? Einmal, weil es wahrscheinlich sozusagen seine Art ist. Er inszeniert sich da so ein bisschen. Er greift aber vielleicht auch ein bisschen so eine Stimmung auf und sowas kann sich ja hochschaukeln.
Jörg Jung:
Wir sind gespannt, wie das noch weitergeht. Ich freue mich jetzt schon wieder auf den MZ News Talk Juli. Insofern bedanke ich mich mal für den Juni an Ciro Krauthausen und bin da gespannt, was im Juli uns noch so erwartet. Genau zu diesem Thema.
Ciro Krauthausen:
Wir schauen uns das weiterhin aufmerksam an, vielen Dank.
Autor: Jörg Jung / Mitarbeit: A. Münster
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