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Ansässigkeit in Deutschland | Wohnsitz | Steuerpflicht

Unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland

Es gehört zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, dass jeder Staat eine Steuerpflicht von Personen aufgrund persönlicher oder räumlicher Anknüpfungspunkte im Staatsgebiet begründen darf. Die Bundesrepublik Deutschland und die meisten anderen Staaten stellen als Anknüpfungspunkte für die Besteuerung natürlicher Personen auf den Wohnsitz und/oder den gewöhnlichen Aufenthalt ab (Wohnsitz- oder Ansässigkeitsprinzip). Liegen Wohnsitz und/oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vor, begründet dies

  • die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG und
  • die Kindergeldberechtigung gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
  • Nur wenige Staaten – wie die USA – können es sich leisten, die unbeschränkte Steuerpflicht an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen. Im englischen Sprachraum ist der Begriff „unbeschränkte Steuerpflicht“ (bzw. dessen untechnische Übersetzung wie etwa „unrestricted taxation“) nicht gebräuchlich; dort spricht man von „resident taxation“.

Die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG führt dazu, dass Deutschland Anspruch auf Besteuerung des gesamten Einkommens hat, welches der ansässige Steuerpflichtige weltweit erzielt (sog. Welteinkommensprinzip). Demgegenüber werden nicht ansässige Steuerpflichtige, die also in Deutschland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, nur mit den Einkünften besteuert, die sie auf inländischem Territorium erzielen, §§ 1 Abs. 4, 49 EStG (sog. beschränkte Steuerpflicht, Quellenprinzip).

Nach § 1 Abs. 1 EStG ist eine Person in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, sofern sie im Inland über einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) verfügt. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat, die er beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Es muss sich dabei nur um zum Wohnen geeignete Räumlichkeiten handeln; weitergehende Anforderungen werden nicht gestellt. Außerdem muss der Steuerpflichtige über diesen Wohnraum verfügen können (sog. Schlüsselgewalt), unabhängig davon, ob die existente Wohnung tatsächlich täglich genutzt wird. Vielmehr reicht es aus, dass der Steuerpflichtige in der Lage ist, seine (deutsche) Wohnung beizubehalten und zu benutzen.

Die Wohnung darf also nicht vermietet sein, außer es handelt sich um eine kurzfristige und nur vorübergehende Vermietung von wenigen Wochen. Als Wohnung taugt insbesondere der Familienwohnsitz. Arbeitet der Steuerpflichtige z.B. im Ausland, stellt der Wohnsitz der Familie den (eigenen) Wohnsitz des Steuerpflichtigen dar. Mithin ist im vorliegenden Fall die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland aufgrund eines inländischen Familienwohnsitzes gegeben.

Steuerpflichtigkeit ohne Wohnsitz in Deutschland

Selbst wenn kein Wohnsitz in Deutschland anzunehmen wäre, kann eine unbeschränkte Steuerpflicht auch durch den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet werden. Voraussetzung dafür ist, dass der betreffende Steuerpflichtige sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhält (§ 9 Satz 1 AO). Erforderlich ist demnach eine körperliche Anwesenheit für einen längeren Zeitraum. Als maßgebender Zeitraum ist insbesondere ein Aufenthalt von mehr als sechs Monaten anzusehen. Die tatsächliche Anwesenheit ist nicht entscheidend. Vielmehr kann auch ausreichen, dass sich der Steuerpflichtige ursprünglich länger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte.

Aufgabe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalte

Der Wegzug im steuerrechtlichen Sinne setzt voraus, dass der (unbeschränkt) Steuerpflichtige seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgibt. Diese normativ an sich einfachen Voraussetzungen stoßen bei Wegzugswilligen in der Regel auf beachtliche psychologische Hürden, weil der steuerliche Wegzug erhebliche Einschnitte für das private und soziale Leben des Steuerpflichtigen nach sich zieht. Der steuerliche Wegzug verlangt im Grundsatz, dass der Wegzügler in Deutschland „alle Zelte“ abbricht. Dies entspricht insbesondere bei steuerlich motivierten Wegzügen meistens nicht dem wirklichen Willen des Wegzüglers.

Wohnsitz
Eine natürliche Person hat nach § 8 AO einen Wohnsitz dort, wo sie eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. 

Nach der Rechtsprechung des BFH ist der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff objektiviert. Er stellt auf die tatsächlichen Gegebenheiten ab und knüpft in erster Linie an äußere Merkmale, nicht an subjektive Momente oder Absichten an.  Maßgebend ist der objektive Zustand, nämlich das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die den Schluss rechtfertigen, dass der Wohnungsinhaber diese Wohnung innehaben und benutzen wird. Das setzt zunächst voraus, dass eine Wohnung mit zum Wohnen geeigneten Räumlichkeiten vorhanden ist, die der Steuerpflichtige in einer Weise innehat, dass er über sie tatsächlich verfügen kann. Die Würdigung der Begleitumstände des Innehabens einer Wohnung liegt auf tatsächlichem Gebiet. Die Schwelle für die Begründung eines Wohnsitzes ist nicht sehr hoch. Unter Umständen reicht ein Hotelzimmer aus.

Problematisch ist die vorübergehende Anmietung einer Wohnung durch einen Steuerausländer. § 8 sagt nichts darüber aus, für welche Zeitdauer bei Wohnsitzbegründung die Absicht bestehen muss, die Wohnung beizubehalten und zu nutzen. Unstrittig ist, dass dem Tatbestandsmerkmal “...innehat...” auch ein Zeitmoment zugrunde liegt. Nach der Rspr kann zur Bestimmung des Zeitmoments auf die Sechsmonatsfrist des § 9 S 2 zurückgegriffen werden. Diese Frist drückt aus, ab wann ein Aufenthalt nicht mehr „nur ein vorübergehender“ ist.

Grundsätzlich unbeachtlich (allenfalls ein Indiz) für die Voraussetzungen eines steuerrechtlichen Wohnsitzes ist die melderechtliche Mitteilung an die Gemeinde, dass ein Wohnsitz unterhalten wird (Anmeldung) bzw. nicht mehr unterhalten wird (Abmeldung).

Liegt ein Wohnsitz vor, wird die unbeschränkte Steuerpflicht auch dann begründet, wenn der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Ausland liegt.

Gewöhnlicher Aufenthalt
Fehlt es an den Merkmalen für einen Wohnsitz, ist ferner zu prüfen, ob die physische Präsenz im Inland noch einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 AO begründet und die unbeschränkte Steuerpflicht durch Beendigung dieser physischen Präsenz beendet ist. Der gewöhnliche Aufenthalt endet erst in dem Moment, in dem der Steuerpflichtige am Umzugstag das Inland verlässt. Die unbeschränkte Steuerpflicht endet erst mit Ablauf des Umzugstags. Der Tag des Umzugs ins Ausland zählt noch zum Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht.

Der gewöhnliche Aufenthalt ist kein „Wohnsitz minderer Qualität“, sondern ein eigenständiger Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht. Nach § 9 Satz 1 AO hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Voraussetzung ist zunächst ein tatsächlicher Aufenthalt, also eine Anwesenheit im Inland. Maßgebend sind wiederum objektive Umstände. Auf subjektive Momente oder Absichten kommt es – wie bei dem Wohnsitzbegriff – nur insoweit an, als sich diese im Nachhinein manifestiert haben und zu den Gesamtumständen nicht in Widerspruch stehen.

§ 9 Satz 2 AO enthält eine Fiktion des gewöhnlichen Aufenthalts. Bei einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr als 6 Monaten wird der gewöhnliche Aufenthalt unwiderleglich vermutet, wobei kurzfristige Unterbrechungen den zeitlichen Zusammenhang nicht hindern.

Wer eine Wohnung von vornherein in der Absicht nimmt, sie nur vorübergehend (für bis zu sechs Monate) beizubehalten und zu benutzen, begründet dort keinen Wohnsitz. Entscheidend ist die Absicht des Steuerpflichtigen. Im Einzelfall kann auch ein tatsächlicher Aufenthalt von bis zu sechs Monaten als ein nicht nur vorübergehender anzusehen sein. Dann muss sich jedoch die ursprüngliche Absicht auf einen längeren Aufenthalt bezogen haben.

Problematisch sind Aufenthalte zwischen drei und sechs Monaten. Entscheidend ist in diesen Fällen, ob die ursprüngliche Absicht auf einen längeren Aufenthalt als sechs Monate gerichtet war. Hier spielt ausnahmsweise das subjektive Moment eine Rolle. Ferienaufenthalte zwischen drei und sechs Monaten sind beispielsweise nur vorübergehend. Anders ist dies, wenn z.B. ein beruflicher Aufenthalt für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten geplant ist, dieser sich später aus nachträglich eintretenden Gründen verkürzt. In solchen Fällen könnte die Finanzverwaltung geneigt sein, einen gewöhnlichen Aufenthalt anzunehmen. 

Im Übrigen schließt nach § 9 Satz 3 AO ein Besuchs- oder Erholungszweck die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland aus, wenn der Aufenthalt nicht länger als ein Jahr dauert.

Verhältnis Wohnsitz zum gewöhnlichen Aufenthalt

In der Praxis gilt, dass zunächst das Vorhandensein eines Wohnsitzes im Inland zu prüfen ist und nur dann Überlegungen zum gewöhnlichen Aufenthalt vorzunehmen sind, wenn das Vorliegen eines Wohnsitzes verneint worden ist.  Dies ist zwar rechtlich nicht zwingend, aber der Begriff des Wohnsitzes ist greifbarer und in Zweifelsfällen einfacher zu konkretisieren. Grundsätzlich können die beiden Vorschriften jedoch selbständig und gleichberechtigt nebeneinander verwendet werden.

Hinweis zur Rechtsprechung
Der RFH/BFH hat seine steuerliche Rechtsprechung zum Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt anhand von drei Fallgruppen (Reichsfluchtsteuer, Einkommensteuer, Kindergeld) entwickelt:

Der BFH hält die Rechtsprechung zur Reichsfluchtsteuer für die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht heute noch für anwendbar. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1969 heißt es: Die Grundsätze zum Wohnsitz sind nicht von nationalsozialistischem Gedankengut und den am 8. Dezember 1931 erlassenen Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer beeinflusst, sondern schon vorher vom RFH entwickelt worden. Dies mag für die RFH-Rechtsprechung bis 1934/‌35 zutreffend sein, für die Rechtsprechung danach ist dies zumindest zweifelhaft.

Während die Rechtsprechung den Wohnsitzbegriff in Entscheidungen zur Einkommensteuer eher weit auslegt, rudert sie in Fällen zurück, wenn es darum geht, mit der Innehabung einer Wohnung oder mit einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland die Voraussetzungen für Kindergeld (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu erfüllen. Die Ausdehnung des Wohnsitzbegriffes in § 8 AO durch die Rechtsprechung zu einem fast fiktiven Band mit dem Inland findet nun ihre fiskalische Kehrseite in den Kindergeldfällen.

In der Entscheidung vom 12.01.2001 hat der BFH einen Wohnsitz im Inland verneint, den er ansonsten wohl bejahen würde: Die Klägerin wohnte die meiste Zeit des Jahres mit ihren Kindern in Griechenland. Sie nutzte ein Einfamilienhaus im Inland zusammen mit ihren Kindern regelmäßig im April sowie im August für zwei bis drei Wochen und hielt sich dort auch gelegentlich in den Weihnachtsferien auf.

In einem ähnlich gelagerten Fall zur Einkommensteuerpflicht, hat der BFH einen Wohnsitz im Inland angenommen. Die Eheleute lebten seit 30 Jahren überwiegend in Hongkong. Der Ehegatte war Textilingenieur und hatte sich dort eine berufliche Existenz aufgebaut, die Ehegattin war chinesische Staatsbürgerin. In Deutschland besaßen sie zwei Häuser. In einem davon stand ihnen eine 300 qm große, luxuriös eingerichtete Wohnung nebst einem auf den Ehegatten zugelassenen PKW zur jederzeitigen Verfügung. Eine Zugehfrau versorgte die Wohnung und bereitete sie jeweils zur Nutzung nach vorherigem Anruf der E vor. Diese nutzte das Ehepaar über die Jahre hinweg regelmäßig, jedoch nie mehr als 60 Tage pro Jahr, was für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland ausreichte.

In der Rechtsprechung lassen sich je nach Fallgruppe unterschiedliche Tendenzen feststellen. So wird im Rahmen von § 1 EStG der Wohnsitzbegriff eher weit, im Rahmen von § 62 EStG eher eng ausgelegt. Dies ist bei der Auswertung von Rechtsprechung zu berücksichtigen.

Problemfälle

In der Beratungspraxis treten häufig Konstellationen auf, in denen die Voraussetzungen für eine Aufgabe oder Begründung des Wohnsitzes und/oder gewöhnlichen Aufenthaltes problematisch sind:

Fallgruppe 1: Doppelwohnsitz
Ein Steuerpflichtiger kann mehrere Wohnsitze i. S. d. § 8 AO haben, die sowohl im In- und/oder Ausland belegen sein können. Daher hat allein die Begründung eines weiteren Wohnsitzes im Ausland keine Auswirkungen auf die steuerliche Qualifizierung des Wohnsitzes im Inland. Ein Doppelwohnsitz führt somit in der Regel zur steuerlichen Ansässigkeit in zwei (oder mehr) Ländern. Selbst wenn der Steuerpflichtige seinen Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland hat, führt der inländische Wohnsitz zur unbeschränkten Steuerpflicht. Auf den zeitlichen Umfang der Nutzung eines inländischen Nebenwohnsitzes kommt es dabei nicht an. Es gibt keinen völkerrechtlichen Grundsatz, nach dem jede Person nur von dem Staat als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden darf, in dem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet.

Im obigen Beispiel 1 bedeutet dies, dass S allein durch die Begründung eines Wohnsitzes im Ausland seinen Steuerstatus (unbeschränkte Steuerpflicht im Inland) nicht beeinflusst. Dies gilt selbst dann, wenn der Auslandswohnsitz Hauptwohnsitz und die Wohnung in Deutschland nur Nebenwohnsitz wäre.

Fallgruppe 2: Wohnsitz im Ausland, Arbeitsplatz in Deutschland

  1. Grenzgänger
    Wohnt der Steuerpflichtige im Ausland und arbeitet er in Deutschland, stellt sich regelmäßig die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anwesenheit am Arbeitsplatz einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Läge bei einem solchen Grenzgänger ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vor, würde bei einem Steuerausländer die inländische Steuerpflicht begründet, bei einem wegziehenden Steuerinländer bliebe die unbeschränkte Steuerpflicht trotz eines Wohnsitzwechsels erhalten. 

    Grenzgänger sind Arbeitnehmer, die sich an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort über die Grenze an ihre Arbeitsstätte in Deutschland begeben und nach Arbeitsschluss wieder an ihren Wohnort im Ausland zurückkehren. Bei ihnen stellt sich die Frage, ob sie durch ihre (arbeits-)tägliche Anwesenheit im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt gem. § 9 AO begründen. Eine in Deutschland vorhandene wirtschaftliche Existenzgrundlage, die die (arbeits-) tägliche Anwesenheit im Inland erfordert, steht einem nur vorübergehenden Aufenthalt nicht entgegen. Daher ist ein gewöhnlicher Aufenthalt bei ausländischen Grenzgängern zu verneinen. Der gewöhnliche Aufenthalt im Inland setzt also voraus, dass der Steuerpflichtige seine Tätigkeit im Inland nicht unter Benutzung seiner im Ausland gelegenen Wohnung ausübt. 

    Grenzgänger mit Wohnsitz (nur) im Ausland sind somit in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Daraus folgt, dass ein Wegzug von Deutschland ins Ausland auch dann zur Auflösung der unbeschränkten deutschen Steuerpflicht führt, wenn der Wegzügler als Grenzgänger weiterhin in Deutschland arbeitet. Zur Klarstellung: Ein Grenzpendler ist in Deutschland zwar nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Seine in Deutschland erzielten Arbeitseinkünfte sind jedoch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht gem. §§ 1 Abs. 4, 49 EStG in Deutschland zu versteuern. 

    Die Doppelbesteuerungsabkommen mit Anrainerstaaten enthalten jedoch teilweise Sonderregelungen, so dass in Deutschland erzielte Arbeitseinkünfte nur im ausländischen Ansässigkeitsstaat besteuert werden dürfen, z.B.: 

    Grenzgänger nach DBA-Schweiz: Steuerpflichtige, die zwischen ihrem Wohnsitz hin und zurück pendeln, werden nach Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz nur in ihrem Wohnsitzstaat besteuert. Dieses Wohnsitzbesteuerungsrecht entfällt jedoch bei einer berufsbedingten Nichtrückkehr von mehr als 60 Tagen, Art 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz. Bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage sind Dienstreisetage mit auswärtiger Unterbringung zu berücksichtigen, nicht jedoch solche Dienstreisetage, an denen der Steuerpflichtige an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Rückreisetag nach mehrtägigen Dienstreisen). § 8 Abs. 1 S. 3 KonsVerCHEV, nach dem bei mehrtägigen Geschäftsreisen alle Wochenend- und Feiertage als Nichtrückkehrtage anzusehen sind, sofern der Arbeitgeber die Reisekosten trägt, sowie § 8 Abs. 5 S. 2 KonsVerCHEV, wonach eintägige Geschäftsreisen in Drittstaaten stets zu Nichtrückkehrtagen zählen, verstoßen gegen den Vorrang des Gesetzes und sind daher nicht anwendbar.

    Grenzgänger nach DBA-Frankreich: Grenzpendler, die im Grenzgebiet (20-km-Zone) arbeiten, werden nur in ihrem Wohnsitzstaat besteuert, Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich. Dieses Wohnsitzbesteuerungsrecht entfällt jedoch wenn der Grenzgänger an mehr als 45 Tagen nicht zu seinem Wohnort zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone arbeitet (Verständigungsvereinbarung).
     
  2. Gelegentliche Übernachtung in Deutschland
    Übernachtet der Steuerpflichtige hingegen in Deutschland und kehrt er nur an den Wochenenden oder zu Ferienzwecken zu seinem ausländischen Wohnsitz zurück, begründet dies einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 AO in Deutschland. In diesen Fällen hat der Steuerpflichtige in der Regel auch einen Wohnsitz nach § 8 AO begründet, so dass er in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. 

    Problematisch sind die Fälle, in denen sich die betreffende Person zwar (arbeits-) täglich in Deutschland aufhält, jedoch nur gelegentlich (z. B. 2-3mal in der Woche) im Inland übernachtet. Diese Konstellation kommt in der Praxis häufig bei sog. „aktiven Gesellschaftern“ vor, also bei Unternehmern, die zwar ihren (Familien-) Wohnsitz im Ausland haben, aber gesellschaftsrechtlich an einem in Deutschland ansässigen Unternehmen beteiligt sind und aktiv die Geschäfte (mit-) führen. Hier stellt sich die Frage, an wie vielen Tagen der Gesellschafter in Deutschland übernachten darf, ohne dass er einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. In der Rechtsprechungfehlen hierzu bislang klare Kriterien. Lediglich gelegentliche Übernachtungen in Deutschland sind unschädlich. In der Literatur wird vertreten, dass eine quantitative Betrachtungsweise zu erfolgen habe. Ausgehend von dem jeweiligen Veranlagungszeitraum sollen höchstens zwei Übernachtungen pro Kalenderwoche in Deutschland erfolgen dürfen, um keinen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (veranlagungszeitraumbezogene Durchschnittsbetrachtung).
     
  3. Mehrtägige Einsätze/ Nächtliche Bereitschaftsdienste in Deutschland
    Von der Rechtsprechung sind bereits die Fallkonstellationen entschieden, in denen der Arbeitnehmer wegen mehrtägiger Einsätze oder nächtlicher Arbeitsbereitschaften an der täglichen Rückkehr an seinen Wohnort gehindert ist. Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes reicht es danach nicht aus, wenn der Arbeitnehmer jeweils nach dem Ende der jeweiligen mehrtägigen Einsätze bzw. nächtlichen Arbeitsbereitschaften am Arbeitsort regelmäßig an seinen Wohnort zurückkehrt.

Fallgruppe 3: Wegzug und Vermietung
Begründet ein Eigentümer einen neuen Wohnsitz im Ausland und vermietet er sein Haus oder seine Wohnung in Deutschland, ist für die Beurteilung, ob er dadurch seinen steuerrechtlichen Wohnsitz aufgibt, wie folgt zu differenzieren.

  1. Vermietung zur Sicherstellung der Beaufsichtigung
    Vermietet ein Eigentümer nur für die Zeit seiner Abwesenheit sein Haus/ seine Wohnung mit allen Einrichtungsgegenständen und persönlichen Dingen nur zur Sicherstellung der Beaufsichtigung des Hauses/der Wohnung, so spricht dies für die Absicht der Beibehaltung des Hauses/der Wohnung. Damit bleibt der Wohnsitz im Inland bestehen.
     
  2. Unbefristete Vermietung
    Vermietet ein Eigentümer sein Haus in Deutschland während seines Auslandsaufenthaltes unbefristet, so geht die tatsächliche Verfügungsmacht über das Haus auf den Mieter über, sofern nach dem Mietvertrag keinerlei Nutzungsrechte seitens des Eigentümers bestehen. Unter diesen Voraussetzungen führt die unbefristete Vermietung zur Aufgabe des Wohnsitzes.
     
  3. Befristete Vermietung (nur) für die Zeit der Abwesenheit
    Nach der RFH-Rechtsprechung führte die Vermietung des Hauses/der Wohnung lediglich für die Zeit der Abwesenheit nicht zur Aufgabe des Wohnsitzes. Danach genügten die Umstände, dass der Steuerpflichtige das Haus/ die Wohnung später wieder benutzen will, für die weitere Begründung des Wohnsitzes aus. 

    Die Finanzgerichte Hamburg und Düsseldorf folgen dieser Rechtsprechung nicht. Nach ihrer Ansicht spricht eine Vermietung bzw. Untervermietung des Hauses/der Wohnung gegen eine künftige regelmäßige Benutzung durch den Steuerpflichtigen und daher für eine Aufgabe der Wohnsitzes. Dies gilt nach FG Hamburg selbst dann, wenn die Rückkehr für die Zukunft geplant ist. Denn während eines Auslandsaufenthaltes gehe die tatsächliche Verfügungsmacht über das Haus/die Wohnung im Inland jedenfalls dann auf den Mieter über, wenn nach dem Mietvertrag keinerlei Nutzungsrechte seitens der Eigentümer bestehen. Auch eine zeitlich begrenzte Untervermietung sowie eine geplante, für die Zukunft vorgesehene Rückkehr änderten an der vorherigen Aufgabe des Wohnsitzes nichts. Damit führt eine befristete Vermietung zur Aufgabe der Wohnung im Inland, wenn dem Vermieter (Eigentümer) während der Zeit im Ausland keine Nutzungsrechte verbleiben.

Fallgruppe 4: Familie
Auch die familiären Verhältnisse können für die Beurteilung, ob die fragliche Person im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, relevant sein. Im Allgemeinen gilt der Grundsatz, dass ein Ehepartner, der von seiner Familie nicht dauernd getrennt lebt, seinen Wohnsitz dort hat, wo sich seine Familie befindet. Dies gilt insbesondere dann, wenn nur der Wohnsitz und nicht auch die Arbeitsstelle verlegt wird. Dabei verlangt die Nutzung der Familienwohnung wegen der Nutzung als Familienmittelpunkt nicht die körperliche Anwesenheit des Ehepartners. Es genügt, wenn er nach einer nur vorübergehenden Abwesenheit in die Familienwohnung zurückkehren wird.

Leben die Eheleute getrennt und sind die Aufenthalte des Ehepartners in der ehelichen Wohnung lediglich als Besuche anzusehen, wird der Wohnsitz nicht durch den anderen Ehepartner vermittelt.

Konsequenzen für Mandant (S) im obigen Beispiel 1:

  1. S kann seinen Wohnsitz in Deutschland aufgeben, obwohl er täglich zu seiner Arbeitsstätte nach Deutschland fährt. 
  2. Auch muss S sein Haus nicht verkaufen. Er darf sein Haus aber nicht leer stehen lassen oder nur zur „Sicherstellung der Beaufsichtigung“ vermieten. Er muss es vielmehr – befristet oder unbefristet – vermieten, wobei er sich keine Nutzungsrechte vorbehalten darf. 
  3. Allerdings kann S seinen Wohnsitz im Inland nicht aufgeben, wenn seine Familie im Einfamilienhaus wohnen bleibt und er nicht von seiner Frau getrennt lebt.

Hat der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgegeben, bleibt er mit den in Deutschland belegenen Steuerquellen beschränkt steuerpflichtig, § 49 EStG. Dazu gehören gemäß § 49 Abs. 1 EstG insbesondere Gewinne aus inländischen gewerblichen Betriebsstätten, Beteiligungen an gewerblichen Personengesellschaften in Deutschland (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) EStG), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung deutschen Grundbesitzes (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG), Dividenden deutscher Kapitalgesellschaften (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG), Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an deutschen Kapitalgesellschaften, wenn die Voraussetzungen des § 17 EStG im Übrigen erfüllt sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e) EStG).

Nicht mehr steuerpflichtig sind deutsche Zinsen, sofern sie nicht grundbuchlich gesichert sind. Herkömmliche Bankzinsen, die ein Steuerausländer bezieht, sind in Deutschland in der Regel also nicht steuerpflichtig.

Gleiches gilt für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an deutschen Kapitalgesellschaften, sofern die Beteiligung kleiner ist als 1 %.

Da die beschränkte Steuerpflicht nur an inländische Steuerquellen anknüpft, sind ferner nach Wegzug sämtliche Einkünfte aus nicht-deutschen Quellen ebenfalls in Deutschland nicht mehr steuerbar.

In bestimmten Fällen wird die beschränkte deutsche Steuerpflicht gemäß § 2 AStG erweitert (sog. erweiterte beschränkte Steuerpflicht). Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht gilt für deutsche Staatsangehörige, die in den letzten 10 Jahren vor Ende der unbeschränkten Steuerpflicht mindestens 5 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren und im Zuzugsstaat einer niedrigen Besteuerung unterliegen. Weitere Voraussetzung ist, dass der beschränkt Steuerpflichtige wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland unterhält (Unternehmer, Komplementär, Kommanditist mit mehr als 25 % Beteiligung, Beteiligung an deutscher Kapitalgesellschaft von mindestens 1 %, u. a.). Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht besteht bis Ende des 10. Jahres nach Wegzug.

Die Rechtsfolge der erweiterten beschränkten Steuerpflicht ist, dass deutsche Zinsen unabhängig von ihrer grundbuchlichen Sicherung (also auch Bankzinsen), Spekulationsgeschäfte mit deutschen Anteilen, sofern die Beteiligung kleiner als 1 % ist, ebenfalls beschränkt steuerpflichtig sind.

Weitere Folge ist, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte mit dem persönlichen Steuersatz (gemessen am Welteinkommen) unter Anwendung des Progressionsvorbehalts besteuert werden. Einbehaltene Quellensteuern haben keine Abgeltungswirkung.

Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 2 AStG lässt sich vermeiden, wenn entweder mindestens 5 Jahre vor Wegzug die deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben wird oder wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland beseitigt werden (Umschichtung von Inlandsvermögen in Auslandsvermögen). Diese krassen Maßnahmen sind indes bei Wegzug in einen DBA-Staat in der Regel unnötig, da durch Anwendung des DBA die Folgen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht in der Regel vermieden werden. Ausnahmen gelten im DBA Schweiz.

Doppelbesteuerungsabkommen nach dem Muster der OECD verpflichten den Ansässigkeitsstaat, Doppelbesteuerung durch Freistellung ausländischer Einkünfte oder Anrechnung ausländischer Steuern zu vermeiden. Ansässigkeit ist daher ein maßgebliches Kriterium für die Abkommensberechtigung. Folglich gibt es in Doppelbesteuerungsabkommen besondere Ansässigkeitsregeln, wonach sich entscheidet, welcher Abkommensstaat als Ansässigkeitsstaat für abkommensrechtliche Zwecke gilt. Diese Regeln sind insbesondere dann relevant, wenn ein Steuerpflichtiger nach dem jeweiligen nationalen Steuerrecht der Abkommensstaaten in beiden Staaten ansässig ist.

Die unbeschränkte Steuerpflicht regelt sich dagegen ausschließlich nach nationalem Recht. Für die Frage der Vermeidung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland durch Wegzug sind abkommensrechtliche Ansässigkeitsregeln daher an sich irrelevant, weil sich die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht allein aus dem deutschen Gesetzesrecht ergeben. Gleichwohl sind die abkommensrechtlichen Ansässigkeitsregeln auch von Wegzüglern zu beachten, weil sie die Steuerrechtsfolgen des Wegzugs aus Deutschland beeinflussen können.

Ziel und Zweck von Doppelbesteuerungsabkommen

Doppelbesteuerungsabkommen sind (idR) zweiseitige völkerrechtliche Verträge zur Vermeidung der doppelten Besteuerung einer Einkunftsquelle in zwei Staaten (internationale Doppelbesteuerung).

Eine doppelte Besteuerung entsteht immer dann, wenn sich Steueransprüche verschiedener Staaten überschneiden. Die Ursache einer Doppelbesteuerung liegt im Welteinkommensprinzip, wonach einerseits die (meisten) Staaten Anspruch auf die Besteuerung des gesamten, weltweit erzielten Einkommens ihrer ansässigen Steuerpflichtigen erheben, andererseits der Nicht-Ansässigkeitsstaat es sich vorbehält, die in seinem Staat belegenen Einkunftsquellen zu besteuern, auch wenn die Einkünfte von Nicht-Ansässigen erzielt werden. Würden die Staaten ihre Besteuerungsansprüche auf solche Einkunftsquellen beschränken, die innerhalb ihres eigenen Territoriums belegen sind (Quellen- oder Territorialitätsprinzip), so wäre – von Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall einmal abgesehen – eine Doppelbesteuerung bereits aus systematischen Gründen ausgeschlossen.

Da eine doppelte Besteuerung den Wettbewerb und vor allem die heimische Wirtschaft schwächt, sind sich die Staaten einig, dass sie schädlich ist. Sie ist im Interesse aller Staaten möglichst zu vermeiden, was nach dem derzeitigen Stand des Völkerrechts derzeit in der Regel durch bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen oder durch unilaterale Maßnahmen der Staaten erfolgt. Selbst innerhalb der EU/EWR wird Doppelbesteuerung – von unilateralen Maßnahmen einmal abgesehen – nur auf der Grundlage von Doppelbesteuerungsabkommen vermieden.

Doppelbesteuerungsabkommen haben zwei Wirkmechanismen. Sie weisen erstens dem Ansässigkeits- und/oder Quellenstaat das Besteuerungsrecht für eine bestimmte Einkunftsquelle zu und verpflichten zweitens den Ansässigkeitsstaat, die Doppelbesteuerung entweder durch Freistellung (Art. 23 A OECD-MA) oder Anrechnung (Art. 23 B OECD-MA) zu vermeiden. Doppelbesteuerungsabkommen begründen keine Steueransprüche, sondern begrenzen sie.

Ist Deutschland Ansässigkeitsstaat, werden nach deutscher DBA-Praxis Einkünfte aus der Vermietung von ausländischen Immobilien, ausländischen unternehmerischen Betriebsstätten sowie unternehmerischen Personengesellschaften freigestellt. Das Besteuerungsrecht hat in diesen Fällen ausschließlich der Quellenstaat. Dividenden, welche ausländische Gesellschaften an ihren inländischen Anteilseigener ausschütten, dürfen im ausländischen Quellenstaat mit einer Dividendenquellensteuer belegt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen (sog. Schachtelprivileg) sind reduzierte Quellensteuersätze anzuwenden. Deutschland als Ansässigkeitsstaat besteuert die Dividenden ebenfalls. Ist Dividendenempfänger eine natürliche Person, wird die ausländische Quellensteuer angerechnet. Das Teileinkünfteverfahren (§§ 3c, 3 Nr. 40 EStG) findet Anwendung. Ist der inländische Dividendenempfänger eine Kapitalgesellschaft, ist die Dividende gemäß § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei. In diesem Fall findet allerdings keine Anrechnung der ausländischen Quellensteuer statt. Veräußert ein inländischer Gesellschafter Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft, besteht in der Regel kein Besteuerungsrecht für den Quellenstaat (auch keine Quellensteuer). Ausnahmen gibt es mitunter, wenn Anteile an Immobiliengesellschaften veräußert werden (Art. 13 Abs. 4 OECD/MA). Das ausschließliche Besteuerungsrecht hat Deutschland als Ansässigkeitsstaat. Ist Veräußerer eine natürliche Person, findet wie bei der Dividende das Teileinkünfteverfahren Anwendung. Ist Veräußerer eine Kapitalgesellschaft, ist der Veräußerungsgewinn gemäß § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei.

Veranlagung im Jahr des Wegzugs

Bis zum Veranlagungszeitraum 1995 folgte aus § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG a. F., dass für das Jahr des Wegzugs zwei Ermittlungszeiträume galten, einer bis zum Wegzug und einer für die Zeit danach. Für jeden dieser Zeiträume war gem. § 25 Abs. 2 EStG a. F. eine separate Veranlagung nach den allgemeinen Grundsätzen durchzuführen. Diese frühere Regelung führte zu einer Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung und zu (ungerechtfertigten) Progressionsvorteilen hinsichtlich der inländischen Einkünfte dadurch, dass der Jahrestarif nur auf ein Teiljahreseinkommen angewendet wurde.

Durch die Jahressteuergesetze 1996 und 1997 wurde der Progressionsminderungseffekt beseitigt. Seitdem regeln § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG (mit Wegfall des § 25 Abs. 2 EStG) sowie § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG, dass wegzugsbedingte Progressionsvorteile vermieden werden. Vollzieht sich nun während des Kalenderjahres ein Wechsel in der Steuerpflicht, sind die während der beschränkten Steuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in die Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen. Die Regelung stellt also klar, dass es bei einem einheitlichen Veranlagungszeitraum bleibt und auch ein einheitlicher Tarif anzuwenden ist.

Somit ist nach § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG eine einheitliche Jahresveranlagung erforderlich, bei der die Summe der Einkünfte aus sämtlichen Einkünften des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht zuzüglich der inländischen Einkünfte nach § 49 EStG ermittelt wird, die vor oder nach Bestehen der unbeschränkten Steuerpflicht im Veranlagungszeitraum erzielt wurden.

Für ausländische Einkünfte, die während der Zeit der beschränkten Steuerpflicht in demselben Kalenderjahr erzielt werden, gilt der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG, der zu erheblichen Mehrbelastungen führen kann. Unbeachtlich sind Steuerpflicht und tatsächliche Besteuerung im Ausland während derselben Zeit.

Eine Besonderheit besteht im Falle des Quellensteuerabzugs: Im Jahr des Wegzugs tritt für diejenigen beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte, die dem Quellensteuerabzug unterliegen, keine Abgeltungswirkung gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG ein. Dies gilt auch für Kapitalgesellschaften, § 32 Abs. 2 Nr. 1 KStG.  Progressionsvorbehalt gem. §§ 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG ist anwendbar.

Anwendungsvoraussetzungen des Progressionsvorbehalts

Progressionsvorbehalt bei zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht

Nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist bei der Festsetzung der Einkommen­steuer u. a. dann ein besonderer Steuersatz (§ 32b Abs. 2 EStG) anzuwenden, wenn ein

  • zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte bezogen hat,
  • die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben.

Diese Regelung gilt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung „nur für Fälle der zeitweisen unbeschränkten Steuerpflicht einschließlich der in § 2 Abs. 7 Satz 3 geregelten Fälle“. Wie sich aus dem Wort „einschließlich“ ableiten lässt, erfasst sie nicht nur die in § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG geregelte Situation, in der ein Steuerpflichtiger in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkt steuerpflichtig ist und in einem anderen beschränkt steuerpflichtige Einkünfte i. S. d. § 49 EStG erzielt. Sie greift auch dann ein, wenn in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil keine in der Bundesrepublik zu besteuernden Einkünfte anfallen. [1] 

§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst daher zwei Fälle:

  • der Steuerpflichtige ist zeitweise unbeschränkt steuerpflichtig und im verbleibenden VZ beschränkt steuerpflichtig (§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG) oder
  • der Steuerpflichtige ist zeitweise unbeschränkt steuerpflichtig und im verbleibenden VZ nicht steuerpflichtig.

Progressionsvorbehalt bei unbeschränkter Steuerpflicht

Im Gegensatz zu § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG betrifft Nr. 3 Fälle, in denen der Steuerpflichtige im Inland ansässig ist, und zwar:

  • Steuerpflichtiger ist im Inland ansässig (unbeschränkt steuerpflichtig) und im Ausland beschränkt steuerpflichtig.
  • Steuerpflichtiger ist doppelt ansässig (Doppelwohnsitz; Deutschland ist DBA-Ansässigkeitsstaat nach tie-breaker-rules, Art. 4 Abs. 2 OECD-MA).
  • Nach Ansicht des BFH: Steuerpflichtiger ist doppelt ansässig (z.B. Doppelwohnsitz), wobei Ausland nach tie-breaker-rules (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) als Ansässigkeitsstaat gilt.

Aus dieser BFH-Entscheidung (Progressionsvorbehalt, wenn unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland, aber keine DBA-Ansässigkeit in Deutschland, Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) ergibt sich folgende Problematik: § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG setzt Einkünfte voraus, die nach DBA steuerfrei sind. Ist aber Deutschland nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA nicht Ansässigkeitsstaat, sondern Quellenstaat, ist er nicht zur Frei­stel­lung nach Art. 23 A OECD-MA verpflichtet. Denn eine Doppelbesteuerung zu vermeiden (Freistellung oder Anrechnung), ist immer Sache des Ansässigkeitsstaates.

Die Folgen der Entscheidung sind umstritten: Nach Wassermeyer seien alle ausländischen Einkünfte in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen. Überzeugender ist die Ansicht von Benecke/‌Schnitger, nur diejenigen ausländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen, die nach den Verteilungsartikeln des jeweiligen DBA dem ausländischen Staat zugewiesen sind. Nach Ansicht von Puls hat der BFH die Grenzen der Auslegung überschritten.

Einschränkung durch Verfassungs- oder Europarecht?

§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG behandelt

  • Steuerpflichtige, die während eines gesamten VZ unbeschränkt steuerpflichtig waren, gegenüber nur zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtigen bzw.
  • beschränkt Steuerpflichtige, die in einem Veranlagungszeitraum zeitweise unbeschränkt steuerpflichtig waren, gegenüber nur beschränkt Steuerpflichtigen 

unterschiedlich. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sieht der BFH hierin nicht. Für den Vergleich eines ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen mit einem nur zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtigen sei eine willkürliche Gleichbehandlung der ungleich gelagerten Sachverhalte nicht erkennbar. Nach Ansicht von Dißars sei die unbeschränkte Steuerpflicht strukturell so verschieden von der beschränkten Steuerpflicht, dass ein Zusammentreffen beider in einem Veranlagungszeitraum eine besondere Behandlung ermögliche.

Der BFH hat entschieden, dass die Grundfreiheiten des EG-Vertrags (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) nicht die Anwendung des Progressionsvorbehalts verbiete.

Verhältnis von Progressionsvorbehalt zum Abkommensrecht

§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG bezieht ausländische Einkünfte, die nach der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nicht steuerbar sind, über den Progressionsvorbehalt in die deutsche Besteuerung ein. Regelungsgrund ist, dass in einem Teil des Veranlagungszeitraums durch die unbeschränkte Steuerpflicht ein inländischer Anknüpfungspunkt hergestellt wurde. Dies ist im Hinblick auf Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen problematisch, wenn der Steuerpflichtige nach dem Wegzug in einem anderen DBA-Staat ansässig ist und das jeweilige DBA eine Anwendung des Progressionsvorbehalts für ausländische Einkünfte nicht vorsieht. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG gegen Regelungen der DBA verstößt.

Nach der alten Rechtsprechung des BFH setzte der Progressionsvorbehalt voraus, dass im DBA dessen Anwendung zugelassen ist. An dieser Auffassung hält der BFH nicht länger fest. Nunmehr ist § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG unabhängig davon anzuwenden, ob ein DBA ausdrücklich der Bundesrepublik als Ansässigkeits- oder Quellenstaat ein Besteuerungsrecht mit Progressionsvorbehalt einräumt. Entscheidend ist nunmehr allein, dass ein DBA der Bundesrepublik die Besteuerung von Einkünften gestattet und den Progressionsvorbehalt nicht ausschließt. Da es – soweit ersichtlich – kein DBA gibt, das den Progressionsvorbehalt ausdrücklich ausschließt, entscheidet es sich also allein nach dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht, ob ein Progressionsvorbehalt anzuwenden ist. Eine dem Art. 23 A Abs. 3 des OECD-MA entsprechende Regelung im DBA hat daher nur deklaratorische Bedeutung.

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